Bea Heim steht in ihrem letzten Jahr als Parlamentarierin. Sie ist eine hartnäckige Gesundheitspolitikerin – und eine, die in der Frühlingssession einige beachtliche Erfolgsmeldungen verzeichnen konnte.
von Balz Bruderer
Bea Heim, was war für Sie die «Sternstunde» in dieser Session?
«Sternstunde» ist mir ein zu grosses Wort. Eher gab es ein paar Lichtblicke. So sagen – nach 22 Jahren und unzähligen Vorstössen – mit dem Ständerat endlich beide Kammern Ja zu einer Nationalen Qualitätsstrategie
Weshalb ist das so wichtig?
Wir alle sahen uns wohl schon mit Qualitätsproblemen konfrontiert, sei es mit Röntgenbildern und CT-Untersuchungen die mehrfach gemacht wurden, mit unerwünschten Nebenwirkungen der Medikation oder mit Spitalinfekten. Das bedeutet für die Patienten nicht nur Leid, sondern für die Prämienzahlenden auch vermeidbare Zusatzkosten.
Was wird nun besser?
Der Schlüssel zur Verbesserung ist nicht der Wettbewerb um die tiefsten Kosten, sondern der Qualitätswettbewerb. Und genau dieser wird zu weniger unnötigen Eingriffen, Diagnose- oder Behandlungsfehlern und damit wesentlich zur Dämpfung der Kosten führen. Ein zweiter Lichtblick ist die nun beschlossene verbesserte Qualitätsprüfung der Implantate wie Hüftgelenke oder Herzschrittmacher.
Und weiter?
Gefreut hat mich auch das Ja des Rates zu meiner Motion für Transparenz bei ärztlichen Honoraren. Weil Spitäler angefangen haben, ihren leitenden Ärztinnen und Ärzten Boni für Umsatz- und Gewinnsteigerungen auszubezahlen, kam es zu unerwünschten Mengenausweitungen. Dieser Fehlanreiz muss weg.
Das war aber noch nicht alles. . .
. . . das stimmt: Auf einem «Umweg» wurde auch meine Motion angenommen, die künftig verhindern soll, dass Jugendliche beim Erreichen der Volljährigkeit mit Krankenkassenschulden ins Erwachsenenleben starten, weil sie die Schulden der Eltern «erben». Zunächst lehnte sie der Bundesrat ab. Nun wurde aber eine inhaltliche identische, jüngere Motion des Bündner SVP-Nationalrates Heinz Brand überwiesen. So funktioniert parteiübergreifende Lösungsfindung!
Zurück zur Qualität: Führen Kontrollen und Sanktionen zu mehr Qualität und weniger Spitalaufenthalten führen? Ist das realistisch?
Nein, sicher nicht. In der Qualitätsarbeit geht es vielmehr darum, gemeinsam die Weiterentwicklung der Diagnose- und Behandlungsqualität zu erarbeiten und sich in den Ergebnissen zu vergleichen, um letztlich unser Gesundheitswesen zu stärken und vermeidbare Kosten zu verhindern.
Es brauchte Jahre, bis das Qualitätsgesetz politisch auf dem Karren war. Dabei wollen doch alle das Gleiche: Gute und bezahlbare medizinische Leistungen.
Ja, es brauchte viele Referate, Vorstösse und Überzeugungsarbeit, dass die dauernde Kostendiskussion ohne koordinierte Qualitätsstrategie, ohne einen institutionalisierte Auswertung der Daten und entsprechende Erfahrungen einfach nicht weiterführt. Wir brauchen eine wissensbasiertere Gesundheitspolitik, so wie es nun im Onkologiebereich mit dem nationalen Krebsregister an die Hand genommen wird. Auch dafür brauchte es Jahre.
Wo krankt das System, dass es selbst so selbstverständliche und unspektakuläre Fortschritte so schwer haben?
Ganz einfach: In der Politik sind zu viele sich widersprechende, aber zum Teil gut honorierte Interessen im Spiel.
Wir reden gerne vom besten Gesundheitssystem der Welt – das gleichzeitig das teuerste ist. Und trotzdem gibt es gerade bei der Behandlungsqualität offensichtliche Mängel. Woher rührt das?
Man spricht zu wenig von den Erfolgen, vom riesigen Einsatz, den Pflegende und Ärzte leisten. Aber es ist so: Die Schweiz hat zum Beispiel eine zu hohe Infektionsrate in Spitälern. Ein Qualitätsmangel ist auch die Übermedikation älterer Menschen oder die zu häufige Abgabe von Antibiotika. Die Qualitätsstrategie wird in vielen Bereichen Verbesserungen bringen.
Sie sagen es: Das freiheitlich organisierte System stösst an seine Grenzen, weil es die Akteure selber blockieren. Ihr Ausweg?
Wohin die Freiwilligkeit geführt hat, haben wir gesehen: Seit 22 Jahren sind die Anforderungen, wie sie das Volk mit der Abstimmung über das Krankenversicherungsgesetz beschlossen hat, nicht wirklich umgesetzt. So dass selbst von bürgerlicher Seite im Ständerat gesagt wurde, es sei nun genug mit Warten, man müsse angesichts der laufend steigenden Kosten handeln,
Es sind nicht immer die grossen Würfe, die Fortschritt anzeigen. Beispiel aus dieser Session: Der Nationalrat will die «Makler-Telefonitis» bei der «Kalt-Akquise» von Grund- und Zusatzversicherungen stoppen.
Ein längst überfälliger Schritt! Allerdings gibt es Kräfte im Ständerat, die Einschränkungen bei den Zusatzversicherungen ablehnen. Sollten sie Erfolg haben, wird die Bevölkerung leider weiterhin mit Anrufen zu jeder Uhrzeit belästigt werden.
Ebenfalls in dieser Session: Die Franchisen hätten minimal erhöht und künftig der Kostenentwicklung angepasst werden sollen. Ein gescheiter Plan oder einfach eine Kostenverlagerung zu den Patienten?
Höhere Franchisen sind für die überwiegende Mehrheit der Menschen in diesem Land einfach höhere Fixkosten. Dabei bezahlen wir in der Schweiz bereits mehr als in jeder anderen Industrienation privat an die Krankheitskosten. Zum Glück hat die Referendumsdrohung der SP bereits vor der Schlussabstimmung Wirkung gezeigt. Die SVP wollte ihre Wählerschaft so kurz vor den Wahlen nicht verärgern. Aber wer weiss schon, wie es in der nächsten Legislatur aussehen wird?
Von den kleinen zu den grossen Baustellen: Wie zuversichtlich sind Sie, dass die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären medizinischen Leistungen gelingen wird?
So wie das Geschäft zurzeit aufgegleist ist, stärkt es nicht nur die Macht der Krankenkassen, sondern auch die Position der privaten Vertragsspitäler, die massiv mehr Mittel erhalten würden. Von daher bin ich wenig zuversichtlich. Eine einheitliche Finanzierung wäre auch mir wichtig, aber dann muss die Vorlage in diesen beiden Punkten grundsätzlich geändert werden.
Häufig im Schatten der Medizin segelt die Pflege. Dabei wäre der Handlungsbedarf – Stichwort Fachkräftemangel – hier am grössten. Trotzdem will der Bundesrat von der Pflegeinitiative, die mehr Pflegequalität und mehr Patientensicherheit will, nichts wissen.
Stimmt, dabei wäre ohne eine gute Pflege die ärztliche Kunst oft umsonst. Die Pflegeinitiative will, dass Bund und Kantone für eine ausreichende, allen zugängliche Pflege von hoher Qualität zu sorgen und insbesondere genügend diplomiertes Pflegepersonal auszubilden. Sie möchte, dass die Pflege nicht länger als Hilfsberuf verstanden wird, sondern die wohlverdiente volle Anerkennung erhält.
Wie beurteilen Sie die Versorgungssituation im Kanton? In Solothurn wird ein grosses und teures Spital neugebaut.
Um das seriös zu beantworten, bräuchte es einen Überblick über die gesamte Gesundheitsversorgung in unserem Kanton, von der hausärztlichen bis zur Versorgung mit Spitex-Diensten oder bis zum Angebot in der Kinderpsychiatrie. Aber eigentlich sollten wir nicht nur das Angebot innerhalb unseres Kantons auf seine Angemessenheit überprüfen, sondern über die Kantonsgrenzen hinweg in Gesundheitsregionen denkend, die Versorgung organisieren. Der Neubau des Solothurner Bürgerspitals ersetzt unter anderem sanierungsbedürftige Altbauten, eröffnet, aber auch neue Chancen, zum Beispiel die Versorgung in Rehabilitation und Geriatrie bedarfsgerecht zu stärken.
Wird dem Prinzip «ambulant vor stationär» so nachgelebt – oder sind das nur Lippenbekenntnisse?
Ich bin überzeugt, dass viele Patientinnen und Patienten froh sind, wenn das, was ambulant gemacht werden kann, nicht stationär ausgeführt wird. Im Übrigen sind die kantonalen Vorgaben dazu verbindlich. Allerdings braucht es dennoch eine gewisse Flexibilität. Bei medizinischen Risiken haben die Ärzte vorsichtig abzuwägen was für den Patienten besser ist.
Was wünschen Sie sich in ihrem letzten Jahr als Parlamentarierin und Gesundheitspolitikerin noch?
Kurz vor der Session fand ein Treffen des von mir initiierten «Round Table Antibiotika» zur Erforschung neuer Antibiotika und Bekämpfung gefährlicher arzneimittelresistenter Bakterien statt. Unser Ziel ist, die dringend nötige Erforschung neuer wirksamer Antibiotika auch von der Schweiz aus, dem Land der Pharmaindustrie, national und international anzukurbeln.
Wo steht das Vorhaben?
Ein Durchbruch ist nicht in Sichtweite, aber meine Motion für eine kohärente Antibiotika-Politik hat beim Bund immerhin die «One-Health-Strategie» in Gang gesetzt. Sie reduziert den Einsatz an Antibiotika auf das Notwendige, um die lebensbedrohlichen Resistenzen einzudämmen. Was ihr aber fehlt, ist nicht nur eine entsprechende Aussenwirtschaftspolitik, sondern auch die Förderung der Erforschung neuer antibiotischer Medikamente.
Hand aufs Herz: Wie fällt Ihre Bilanz nach fast vier Legislaturen Gesundheitspolitik aus? Sisyphus scheint ein treuer Begleiter zu sein.
Man wünschte sich immer, mehr erreicht zu haben. Zum Beispiel im Kampf gegen die steigenden Krankenkassenprämien oder gegen die immer öfter auftretenden Verknappungen von Medikamenten, aber auch im Umgang mit den exorbitant teuren Arzneimitteln, in der Pflegefinanzierung oder in der Prävention und der Bekämpfung der chronischen Krankheiten. Auch wenn das Eine oder Andere gelungen ist, steigen die Prämien leider noch immer. Darum braucht es beides, die Begrenzung der Prämienlast auf höchstens 10 Prozent eines Haushaltsbudgets wie auch Massnahmen zur Kostendämpfung. Doch um politisch etwas zu erreichen sind neben solider Dossierkenntnis vor allem Durchhaltevermögen und Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg gefragt.
Quelle: Solothurner Zeitung online