Rücktritte aus dem Bundesrat erhöhen sofort die politische Temperatur im Land. Im Bundeshaus – aber mehr noch ausserhalb. Wer, wie, mit welchen Chancen und warum eventuell doch nicht? Das gewöhnungsbedürftige Wort vom «Kandidatenkarussell» feiert wieder Urstände. Als ob die Ersatzwahl in die Landesregierung die Kilbi wäre, zu deren sie die Medien machen. Das wird uns jetzt die nächsten zwei Monate begleiten. Während dieser Wochen wird noch viel passieren. Gewählt wird am 5. Dezember. Wen ich wähle, verrate ich nicht. Was ich wähle aber schon: zwei Frauen.Ein weiteres Thema dieser Session, welches nicht schon lange im Voraus traktandiert wurde, war das Rahmenabkommen, über das die Schweiz seit Jahren mit der EU verhandelt. Dieses bekam plötzliche zusätzliche Brisanz, nachdem Neo-Aussenminister Ignazio Cassis unvermittelt und ohne Not in einem Radio-Interview den Schutz der Schweizer Löhne zur Verhandlungsmasse mit der EU machte. Damit setzte sich der FDP-Bundesrat nicht nur über das vom Gesamtbundesrat definierte Verhandlungsmandat hinweg, sondern er gefährdet den bilateralen Weg. Denn seit dem EWR-Debakel von 1992 gibt es eine Gewissheit: ohne flankierende Massnahmen zum Schutz der Schweizer Rechte von Schweizer Arbeitnehmenden haben europapolitische Vorlagen beim Volk keine Chance. Schmerzhaft erfahren musste das bereits der jetzt abtretende Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der sich im Vorfeld der Abstimmung über die sog. «Masseneinwanderungsinitiative» der SVP im Gleichschritt mit den Wirtschaftsverbänden und den bürgerlichen Parteien hartnäckig weigerte, die flankierenden Massnahmen an die Sorgen und Nöte der Arbeitenden anzupassen. Das Zufalls-Ja am 9. Februar 2014 war die direkte Folge davon.
Wenn die Angelsachsen sagen wollen, dass ein offensichtliches Problem nicht angesprochen wird, reden sie vom «elephant in the room», vom Elefant im Zimmer. In den Diskussionen um ein EU-Rahmenabkommen sind wir just an diesem Punkt. Genau genommen handelt es sich sogar um zwei Elefanten: die Anti-Menschenrechtsinitiative der SVP, über die wir am 25. November abstimmen, und die von der gleichen Partei dieser Tage eingereichten Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit.
Beide Initiativen gefährden den bilateralen Weg. Und sie würden bei einer Annahme die Arbeitsbedingungen aller Lohnabhängigen verschlechtern. Genau das ist auch ihr Ziel. Denn die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, von welchen alle Arbeitnehmenden in der Schweiz profitieren, sind den Rechten und leider auch einem Teil der Arbeitgebenden ein Dorn im Auge. SVP-Politikerin und Milliardärin Magdalena Martullo-Blocher gibt das offen zu. Immerhin das ist ihr hoch anzurechnen.
Die Ersatzwahlen für Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann sind für die Medien auch deshalb interessant, weil sie über einzelne Kandidierende berichten können. Über Gesichter und über Ideen. Die Auseinandersetzungen über das Verhältnis der Schweiz zur Welt und über den Schutz der Rechte von Schweizer Arbeitnehmenden sind vielleicht auf den ersten Blick nicht so plakativ – doch sie betreffen Millionen Menschen in diesem Land. Wir sollten deshalb bei allem Gaudi über das «Kandidatenkarussell» das Reden über die Elefanten im Raum nicht vergessen. Wer den eigenverantwortlichen Schutz der Schweizer Löhne schleifen will, riskiert gleich zwei Ja zu Initiativen, die der Schweizer Wirtschaft aber massiv schaden würden.