Vertrauensärztinnen und Vertrauensärzte arbeiten im Auftrag und im Sold der Krankenkassen. Ihre Aufgabe ist es, zuhanden der Kasse zu beurteilen, ob eine Behandlung von der Kasse vergütet werden soll oder nicht. Sie beurteilen, ob im Einzelfall die Voraussetzung der Leistungspflicht gegeben, ob eine Behandlung bei einzelnen Patientinnen und Patienten zweckmässig und wirtschaftlich ist.
Vertrauensärzte sind beratende Kassenärztinnen und -ärzte. Sie sind für die Kassen da und nicht für die Versicherten oder die Patientinnen und Patienten; sie sind Angestellte der Krankenkassen. Kleine Kassen lagern diese Aufgabe aus. Die Unabhängigkeit, die es für eine neutrale medizinische Beurteilung dessen bräuchte, was an Behandlungen nötig ist und was nicht, ist heute nicht gegeben. Dies ganz nach dem Sprichwort: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“
Patientenstellen und -organisationen berichten von Situationen, bei denen die Vertrauensärztinnen eine andere Meinung haben als die Direktion der Kasse oder bei denen gar die Personen in der Verwaltung am Schreibtisch entscheiden. Die Patienten sind damit mit Bezug auf die Entscheide faktisch der Willkür der Kassen ausgeliefert. Störend ist auch, dass die Vertrauensärzte nicht persönlich Patienten untersuchen können – dies im Sinne einer Second Opinion. Selbst der behandelnde Arzt hat Probleme, in direkten Kontakt mit dem vertrauensärztlichen Dienst zu treten. Es kommt also nicht zu einem medizinfachlichen Austausch.
In welchen Fällen kommen Vertrauensärzte zum Zug? Es geht um schwierige, um schwere Fälle; es geht um Fälle im Onkologie-Bereich und den Off-Label-Use, wo man zwar etwas tun möchte, wo aber seit vier Jahren immer noch nicht geschehen ist. Es geht auch um die Frage, ob bestimmte Behandlungen möglich sein sollen oder nicht.
Die einzige Möglichkeit der Patienten, um eine Kostengutsprache zu erwirken, wäre die, die Gerichte anzurufen. Stellen Sie sich vor, wie beschwerlich das ist, wie langdauernd. Dann ist es auch noch teuer. Oder sie wechseln, wie dies auch Patientenstellen empfehlen, die Kasse und stellen den Antrag bei einer neuen Kasse. Es gibt keine Einheitlichkeit in der Praxis der Beurteilungen, es gibt keine Unabhängigkeit der Vertrauensärzte in der Beurteilung, denn die Entscheidkompetenz obliegt letztlich der einzelnen Kasse. In diesem Systemfehler liegt einer der zentralen Gründe, weshalb es zu Ungleichbehandlungen von Versicherten kommt. Je nachdem, bei welcher Kasse man ist,kann es auch – das zeigen Infras und die Krebsliga – Ungleichbehandlungen innerhalb der gleichen Kasse geben, abhängig davon, wo man wohnt, ob in Zürich, Aarau oder St. Gallen. Off-Label-Use ist, ich habe das gesagt, ein Problem. Der Bundesrat will es anpacken, es scheint aber so schwierig zu sein, dass jetzt vier Jahre vergangen sind und wir noch keine Verordnung haben. Ungleichbehandlungen bestehen auch bei Vergütungen von Operationen.
Mein Postulat will die Vertrauensärzte und -ärztinnen aus ihrem Dilemma befreien, wie sie es selbst auf ihrer Homepage illustriert haben – auch wenn es nicht aus ihrem Verband kommt, sondern von einer Ethikprofessorin geschildert wird. Das Postulat will diese Ärztinnen und Ärzte aus dem Dilemma zwischen Patientenwohl und Versicherungsinteressen befreien – einem Dilemma, das der Berufsverband selber thematisiert. Das Postulat schlägt mit dem Ziel der Gleichbehandlung aller Versicherten vor, eine ähnliche Lösung zu schaffen, wie sie der Verband der kleinen und mittleren Krankenversicherer (RVK) bereits für kleine Kassen anbietet: eine Lösung mit unabhängigen, professionellen Beratungs- und Schlichtungsstellen für die Beurteilung von Behandlungen auf ihre Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit. Dies, damit die Vertrauensärztinnen und -ärzte ihre Beurteilung unabhängig, nach klar medizinischen und einheitlichen Kriterien – die zu schaffen sind – abgeben können, damit sie nicht länger als Angestellte der Kassen und im Interesse der Kassen statt im Interesse der Versicherten und der Patientinnen und Patienten agieren müssen. Hier gibt es meines Erachtens eigentlich auch einen Widerspruch zum hippokratischen Eid.
Ich bitte Sie deshalb, dem Prüfungsauftrag, der das Postulat ja eigentlich ist, zuzustimmen.