Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen

  • 28. April 2016
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Es ist eine spürbar schwere Materie, mit der wir uns zu beschäftigen haben. Sie ist deshalb schwer, weil sie uns mit einem ganz dunklen Kapitel unserer Geschichte konfrontiert.

Bea Heim am 26.4.16 im Nationalrat: „Es ist eine spürbar schwere Materie, mit der wir uns zu beschäftigen haben. Sie ist deshalb schwer, weil sie uns mit einem ganz dunklen Kapitel unserer Geschichte konfrontiert. Das zeigen jetzt auch die letzten bewegenden Worte von Kollegin Sollberger. In meinem Kanton, genauer in Mümliswil, steht in einem ehemaligen Kinderheim die nationale Gedenkstätte für Verding- und Heimkinder. Was man hier als Besucherin, als Besucher erfährt, vergisst man nie mehr, es lässt einen nie mehr los. Während Jahrzehnten – Sie haben es mehrfach gehört, aber ich meine, man kann es eigentlich nicht genug ans Licht zerren -, bis 1981 wurde Zehntausenden Menschen in unserem Land unter dem Titel der sogenannten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen unfassbares Leid zugefügt; Leid, das mehrfach geschildert wurde. Diese Menschen wurden auf Bauernhöfen verdingt, zwangssterilisiert, zur Abtreibung gezwungen, für Medikamentenversuche missbraucht, sexuell ausgebeutet, unter fadenscheinigen Gründen gequält, weggesperrt.
Da hat man Menschen mutwillig Leid zugefügt. Das gehört mit zum Schlimmsten, was man einer Gesellschaft vorwerfen kann: die Verletzung der Menschenrechte, und das bei wehrlosen, weil besonders verletzlichen Menschen. Selbstverständlich gab es Familien, die sich gegenüber Verdingkindern und administrativ Versorgten anständig und respektvoll benommen haben. Aber eben, die Mehrheit verhielt sich anders.
Mehrfach wurde heute gefragt: Kann man solches Unrecht überhaupt wiedergutmachen? Wohl kaum. Aber wir haben als Volksvertreterinnen und Volksvertreter die Aufgabe, ja die Pflicht, stellvertretend für die gesamte Gesellschaft, offiziell zu anerkennen, dass Unrecht – und welch unglaubliches Unrecht! – geschehen ist. Wir sind uns sicher alle bewusst: Nur Worte reichen da einfach nicht. Die Anerkennung muss die breite Gesellschaft erfassen. Darum gilt es, mit der Geschichtsklärung die Decke des gesellschaftlichen Verdrängens definitiv zu lüften, damit sich nicht Ähnliches wiederholt.
Diese Anerkennung muss substanziell sein. Es muss ein sichtbares und spürbares Zeichen der Solidarität sein. Der Gegenentwurf zur Wiedergutmachungs-Initiative nimmt die wichtigsten Punkte der Initiative auf. Sein Vorteil: Er ist schneller umzusetzen als die Initiative, die mit der Volksabstimmung und mit der Erarbeitung der Umsetzungsgesetzgebung viel Zeit brauchen würde. Den Opfern aber läuft die Zeit davon: Viele sind schon gestorben, viele sind schwer krank, zumeist auch als Folge des Unrechts, das sie erlitten haben, und viele leben in prekären finanziellen Verhältnissen.
Das alles spricht für den Gegenvorschlag des Bundesrates. Das anerkennen auch die Initiantinnen und Initianten. Der Gegenvorschlag ist ein Gesamtpaket, die finanziellen Leistungen an die Opfer gehören dazu. Sie sind angesichts des erlebten Leides nicht mehr als ein Zeichen – ein äusserst bescheidenes, meines Erachtens ein zu bescheidenes Zeichen. Aber man setzt damit ein Zeichen der Anerkennung, ein Zeichen der politischen und der allgemeinen Entschuldigung – wohl wissend: selbst wenn der Betrag doppelt oder dreifach so hoch wäre, wirklich wiedergutmachen kann man das Leid an den Menschen, die es erlebt haben, nicht mehr. Ich bitte Sie deshalb, dem Gegenvorschlag des Bundesrates zuzustimmen, damit dieses Zeichen der Anerkennung und der Entschuldigung bei den Betroffenen überhaupt noch ankommen kann.“

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