Wenn wir uns heute zum 1. Mai treffen, dann feiern wir kämpferisch eine Tradition. Und zwar eine, die aktuell ist und wahr und echt. Wir Linken müssen keine alten Schlachten und konstruierte Mythen inszenieren. Wir wissen, woher wir kommen. Und wir wissen, was wir zu verteidigen haben.
Denn noch nie in den letzten Jahrzehnten waren die hartnäckig erkämpften Errungenschaften einer solidarischen Gesellschaft so sehr in Gefahr wie heute. Die Rechtsnationalen und ihre Wasserträger in den bürgerlichen Parteien haben ein regelrechtes Abbruchprogramm formuliert. Und es besteht kein Zweifel daran, dass sie Dieses, Buchstabe für Buchstabe, umsetzen werden, wenn wir sie denn lassen.
Aber das lassen wir nicht zu!
Es ist kälter geworden in der Schweiz.
Ich will Euch drei Beispiele von vielen nennen:
Die Rechtsnationalen und ihre bürgerlichen Komplizen in Parlamenten und einschlägige Medien haben so lange kranke Menschen als Drückeberger hingestellt, bis die Invalidenversicherung als Selbstbedienungsladen von Arbeitsscheuen am Pranger stand und «reformiert» wurde. Die Folge: die Menschen sind immer noch krank, viele bekommen jetzt einfach keine Unterstützung von der IV mehr, sondern müssen auf das Sozialamt. Auch darum explodieren dort jetzt die Kosten. Wir Linken haben davor gewarnt und wurden nur belächelt.
Die Rechtsnationalen und ihre bürgerlichen Komplizen in Parlamenten und Medien haben so lange jeden Flüchtling als Verbrecher und Abzocker hingestellt, bis das Asylgesetz «reformiert» werden musste. Unter anderem wurde das bewährte Institut des Botschaftsasyls abgeschafft. Auch darum ertrinken jetzt Tausende verzweifelter Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer. Wir Linken haben davor gewarnt und wurden nur verspottet.
Die Rechtsnationalen und ihre bürgerlichen Komplizen in den Parlamenten und Medien haben eine beispiellose Kampagne gegen die Nationalbank geführt, seit diese den Mindestkurs eingeführt hatte. Am 15. Januar hat Herr Jordan dem Willen der Finanzindustrie nachgegeben und sich am Abend dafür an einer Zürcher SVP-Veranstaltung feiern lassen. Die Folgen des Nationalbankentscheids für alle, die ihren Lebensunterhalt erarbeiten und nicht erspekulieren, sind dramatisch: Jobs verschwinden, der Lohndruck wächst und unverantwortliche Bosse, solche gibt es immer wieder, nützen die Situation aus, um den Lohnabhängigen das Gehalt zu drücken und sie gratis Überstunden leisten zu lassen. Wir Linken haben davor gewarnt und wurden nur belächelt.
Der Meccano hinter diesen Vorgängen ist immer der gleiche: jedem Opfer einer dieser vermeintlich so wichtigen Massnahmen wird eine andere Minderheit vorgeführt, die angeblich an seinem Unglück schuld sein soll. Dabei sind es immer die gleichen paar Dutzend Taschen, in denen ein immer grösserer Teil des in der Schweiz erarbeiteten Geldes verschwindet. Die Bestverdienenden werden mit Steuersenkungen gehätschelt, die mittleren und unteren Einkommen geschröpft.
Wir dürfen uns nichts vormachen lassen. Denn unter welchem Etikett man uns all diese angeblich so dringenden Reformen auch immer anpreist: dahinter steckt der alte Traum der Neoliberalen. Sie wollen nicht bloss das soziale Netz zerreissen, sondern generell alle solidarischen Bindungen vernichten. Ihr Ziel ist die absolute Vereinzelung. Jeder Mensch soll eine Minderheit für sich sein, die man gegeneinander ausspielen kann. Margaret Thatcher, die Schutzheilige aller Neoliberalen, hat mal unübertrefflich ehrlich formuliert, was Grundlage und Ziel dieser Politik sind: «Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Individuen.» Sie hat damit Grossbritannien ruiniert und Hunderttausende in die nackte Armut getrieben. Doch das hindert die Schweizer Rechte nicht daran, diese ranzigen Rezepte auch unserem Land zu empfehlen.
Und wisst Ihr, Genossinnen und Genossen, was mich zusätzlich zu Allem noch besonders stört an diesem rechten Wendepakt? Es ist diese kleinliche Ideologie der Angst vor der Zukunft. Statt jetzt etwa die Gelegenheit zu nützen, dank den negativen Zinsen das Geld für sinnvolle Projekte zu weniger als dem Nulltarif aufzunehmen und unser Land im Interesse aller industriell und bildungsmässig voranzubringen, fällt den Bürgerlichen nichts ein, ausser als Sparen getarnte Kahlschläge. Würden unsere KMUler und Gewerbler so geschäften, wie die selbst ernannten Wirtschaftsparteien politisieren – sie kämen auf keinen grünen Zweig.
Nehmen wird das Beispiel Atomausstieg. Wir Linken haben vor dieser lebensgefährlichen Technologie schon gewarnt, als sich die bürgerlichen Parteien ihre Kassen noch von der Atom-Lobby haben füllen lassen. Heute ist auch vernünftigen Bürgerlichen klar, dass AKW nicht nur gefährlich sind, sondern sich auch ökonomisch für die Gesellschaft nicht rechnen. Tragischerweise brauchte es dazu die Atom-Katastrophe von Fukushima. Aber dann kam erstaunlich rasch erfreuliche Bewegung in die Angelegenheit. Wir konnten die Energiewende anstossen zusammen mit den Mitte-Parteien. Wir hätten uns zwar vieles schneller gewünscht, aber immerhin die Richtung in der Energiepolitik stimmt seit Jahrzehnten zum ersten Mal. Das war eine grosse Leistung, da sind viele bürgerliche Politikerinnen und Politiker über ihren Schatten gesprungen. Und ja, man darf die Mitte auch mal rühmen, wenn sie es verdient hat.
Doch jetzt ist Energiewende in realer Gefahr. SVP und FDP wollen sie bodigen. Sie wollen neue Atommeiler bauen, wo noch nicht einmal geklärt ist, was wir mit dem bis jetzt angefallenen, noch Zehntausende von Jahren strahlenden Atommüll machen sollen. SVP und FDP besorgen das Geschäft jener ewiggestrigen Strombarone, die vor wenigen Jahren noch von einer angeblich drohenden Stromlücke gefaselt haben und heute vor lauter Strom nicht wissen, wohin damit.
Der Ausstieg aus der Energiewende wäre ökologisch und ökonomisch ein Wahnsinn. Denn die Energiewende sorgt nicht nur für eine sichere und saubere Energieversorgung, einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen und die Weiterentwicklung von Zukunftstechnologien. Die Energiewende sorgt auch für richtige Jobs für richtige Arbeit, die echten Mehrwert schafft zum Beispiel in der Forschung und Entwicklung, in der Industrie und auf dem Bau. Das ist echtes qualitatives Wachstum, das für Wohlstand für alle sorgt.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute feiern wir mit- und untereinander. Das tut gut. Wir dürfen stolz sein auf das Erreichte – und wir müssen Kraft tanken für die Verteidigung unserer Vorstellung von einer freien, fairen und solidarischen Schweiz.
Die kommenden Monate sind ganz entscheidend für die Zukunft unseres Landes. Wir müssen den Durchmarsch der Rechtsnationalisten und ihrer Verbündeten am 18. Oktober stoppen. Wir wissen, wofür wir kämpfen und für wen. Aber wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir auch dort präsent sein, wo wir nicht unter uns sind. Wir müssen unsere Vorstellungen gut erklären. Zum Beispiel den von der rechtsnationalen Propaganda geblendeten Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, im Verein, an der Uni, in der Schule und am Stammtisch.
Und selbst wenn der mediale Wind nicht auf unserer Seite ist, brauchen wir uns nicht zu verstecken. Denn wir haben die besseren Geschichten, und wir haben die besseren Ideen.
Heute feiern wir stolz und selbstbewusst. Das haben wir uns verdient, die gelebte Solidarität gibt uns Kraft. Und ab morgen kämpfen wir weiter für eine menschenfreundliche fortschrittliche Schweiz!
Euch und mir wünsche ich weiterhin «e schöne 1. Ma