FS13: Ja zur Hausarztmedizin. Volksinitiative

  • 11. März 2013
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Heim Bea (S, SO): Die SP-Fraktion lehnt den Antrag der Minderheit Cassis ab; sie unterstützt den Antrag der Mehrheit bzw. den Beschluss des Ständerates. Warum?
Der Antrag der Mehrheit nimmt, wenn auch in abgeschwächter Form, die ursprüngliche Zielformulierung des Bundesrates auf:
Erstens erlaubt der Antrag der Mehrheit dem Bund, Vorgaben über die medizinische Grundversorgung zu machen; er erlaubt dem Bund, die Weichen in Richtung integrierte Versorgung, in Richtung neue Versorgungsmodelle zu stellen. Ich habe es heute Morgen schon gesagt: Die Herausforderungen der Zukunft sind die Zunahme der chronischen Krankheiten und die Multimorbidität; dazu braucht es neue Versorgungsformen. Es macht keinen Sinn, wenn jeder Kanton für sich nach Lösungen sucht. Das ist eine Aufgabe, die Bund und Kantone gemeinsam angehen müssen.
Zweitens erlaubt es der Antrag der Mehrheit dem Bund, eine aktivere Rolle im Bereich des Angebots der Aus- und Weiterbildung zu spielen. Das ist ein grosses und drängendes Anliegen der Hausärzteschaft. Darum steht es auch in ihrer Initiative.
Drittens hält der Beschluss des Ständerates – er wird von der Mehrheit der SGK des Nationalrates unterstützt – die angemessene Abgeltung der Leistungen fest. Das mag als eine Selbstverständlichkeit anmuten. In allen Berufen ist es selbstverständlich, dass gute Leistungen angemessen abgegolten werden. Die Realität bei der Hausärzteschaft ist aber eine andere; sie entspricht schon lange – und je länger, je mehr – weder der fachlichen noch der zeitlichen Herausforderung, noch der grossen Verantwortung dieses Berufs. Darum gehört dieser Punkt der Initiative auch in den Gegenvorschlag.
Der Antrag der Minderheit Cassis streicht genau diesen Kernpunkt aus der Initiative. Es geht nicht um die Frage der Besoldung, sondern um die Tarifgestaltung, zu welcher wir als Parlament dem Bundesrat schon subsidiär die Kompetenz gegeben haben. Viele in diesem Saal möchten, dass die Initiative zurückgezogen wird. Wenn Sie diesen Passus aber streichen, können Sie fast sicher sein, dass die Initiative nicht zurückgezogen wird, und Sie können sicher sein, dass die Initiative eine breite Unterstützung in der Bevölkerung finden wird. Das gilt ganz besonders dann, wenn das Parlament den Hausärztinnen und Hausärzten die Selbstverständlichkeit des Festhaltens an einer angemessen Abgeltung verweigert.
Im Namen der SP-Fraktion bitte ich Sie, den Antrag der Minderheit Cassis abzulehnen und wie die SP-Fraktion dem Antrag der Mehrheit zuzustimmen.

 

Heim Bea (S, SO): Es ist gut, gibt es diese Initiative. Sie löste die längst fällige Diskussion zur Grundversorgung aus. Auch wenn Herr Blocher hier relativ flapsig nicht wahrhaben will, dass wir einen Mangel haben in der Hausarztmedizin, so ist dies halt eben doch die Realität. Einen Mangel im Grundpfeiler unserer Gesundheitsversorgung, einen Mangel in der Hausarztmedizin, können wir uns nicht leisten. Wir müssen sie stärken; sicher auch, weil eine starke Rolle der Hausarztmedizin das Gesundheitssystem kostengünstiger macht, ganz besonders aber mit Blick auf die grosse Herausforderung der Zukunft, die Zunahme der chronischen Erkrankungen. Die Betreuung von Chronischkranken, von Patientinnen und Patienten mit mehreren Krankheiten ist eine der Kernaufgaben der Hausarztmedizin. Das macht sie zur eigentlichen Spezialdisziplin der Multimorbidität. Wenn wir eine gute medizinische Versorgung für alle in diesem Land sichern wollen – und das wollen wir doch, das will sicher auch Herr Blocher -, können wir uns einen Hausärztemangel schlicht nicht leisten. 
Umso unverständlicher ist es, dass die Hausarztmedizin quasi zum Stiefkind des Gesundheitssystems geworden ist. Dabei ist die Hausarztpraxis die zentrale Stelle, sie ist die Erstanlaufstelle, hier werden die Weichen für die Behandlung gestellt, und die Qualität der Diagnose hier ist entscheidend für den Verlauf der Heilung. Hausarzt, Hausärztin zu sein ist einer der schwierigsten Berufe. Er erfordert ein unheimlich breites Wissen auf allen Gebieten, während Spezialistinnen und Spezialisten ihre Fachkompetenz auf kleinere Gebiete eingrenzen können. Dennoch scheinen sie, gemessen an ihrem Einkommen, ein höheres Sozialprestige zu haben. Es stellt sich echt die Frage: Ist das wirklich richtig? 
Ich begrüsse die Hausarzt-Initiative, und ich verstehe, dass die Initiantinnen und Initianten ihre Initiative nicht zurückziehen, bevor sie sicher sein können, dass das Parlament hier, aber auch im Abstimmungskampf zum Gegenvorschlag und damit zur Stärkung der Hausarztmedizin klar und deutlich Ja sagt. Immerhin geht es hier um so heikle Themen wie eine angemessene Entschädigung. 
Ich werde beides unterstützen und in der Abstimmung bei der Stichfrage dem Gegenvorschlag den Vorzug geben. Warum? Weil der Gegenvorschlag die Sicherheit und die Qualität der Gesundheitsversorgung an sich ins Zentrum stellt, das Allgemeinwohl, das, was Patientinnen und Versicherte in diesem Land brauchen, und weil er den Fokus nicht auf eine einzelne Berufsgruppe richtet, auch wenn deren Anliegen, wie gesagt, sehr berechtigt sind. 
Ich bedaure allerdings, dass der Ständerat und die nationalrätliche Kommission beim Gegenvorschlag eine wichtige Bestimmung aus der Vorlage gestrichen haben: die Massnahmen zur Gewährleistung der Qualität. Beim heutigen Kostendruck ist dies doch ein absolutes Muss. Dieses Muss ist breit abgestützt: seit 1996 im Krankenversicherungsgesetz, in Aufträgen von National- und Ständerat und im Wissen darum, dass im Gesundheitswesen letztlich nur eine Qualitätssteuerung kostendämpfend wirkt. Und doch ist dieser über siebzehn Jahre alte Auftrag noch immer nicht wirklich umgesetzt. Er muss, Herr Bundesrat, Inhalt des Masterplanes Hausarztmedizin werden. 
Nach der Abstimmung über Initiative und Gegenentwurf fängt die Arbeit eigentlich erst an. So muss der Numerus clausus weg; die Schweiz muss mehr Ärztinnen und Ärzte selber ausbilden, vor allem mehr Hausärzte und Hausärztinnen, und die Kapazität für die Aus- und Weiterbildung sicherstellen. Es braucht neue Versorgungsmodelle für die Bedürfnisse der Chronischkranken und der älteren Bevölkerung. Auch die Hausarztmedizin hat sich den Neuerungen zu stellen – die Stichworte sind: elektronische Vernetzung, elektronische Krankengeschichten, integrierte Versorgung, Sicherung des Nachwuchses mit zeitgemässeren Arbeitsbedingungen. 
Wir alle in diesem Land sind auf eine medizinische Grundversorgung von hoher Qualität angewiesen, und das ist der Grund, weshalb ich sowohl die Initiative wie auch den Gegenvorschlag unterstütze und Sie bitte, dasselbe zu tun.

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