Heim Bea (S, SO), für die Kommission: Diese Standesinitiative verlangt, ein Gesetz zu erarbeiten, damit „im öffentlichen Raum das Tragen von Kleidungsstücken, die das Gesicht ganz oder hauptsächlich verhüllen“, verboten wird. Die Staatspolitische Kommission hat diese Standesinitiative des Kantons Aargau geprüft, und sie beantragt Ihnen mit 12 zu 10 Stimmen, dem Ständerat zu folgen und der Standesinitiative keine Folge zu geben. Die Kommissionsminderheit beantragt, Folge zu geben.
Die Kommissionsmehrheit erachtet die Einführung eines nationalen Verhüllungsverbotes im öffentlichen Raum für unverhältnismässig. Die Verhüllung aus religiösen Gründen stellt im täglichen Leben kein wirkliches Problem dar. Sie wird von Musliminnen in der Schweiz kaum praktiziert. Bei Kontakten mit den Behörden ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich die betreffenden Frauen ausweisen und ihr Gesicht zeigen. Ein Verbot des Niqab oder der Burka hätte aber zur Folge, dass sich die wenigen Trägerinnen in ihre Privatsphäre zurückziehen würden und die gesellschaftliche Integration damit zusätzlich erschwert würde. Zudem hätte ein Verhüllungsverbot eine negative Signalwirkung gegenüber Touristinnen und Touristen aus islamischen Ländern, die dann von einem Besuch in der Schweiz abgehalten würden.
Auch mit Blick auf die Vermummung von Demonstrantinnen und Demonstranten steht die Kommission einem nationalen Verbot ablehnend gegenüber. Ein solches wäre ein Eingriff in die verfassungsmässige Zuständigkeit der Kantone. Verschiedene Kantone und Städte haben bereits Verbote eingeführt. Die Einführung von Verboten soll auch weiterhin im Ermessen dieser Ebenen liegen.
In Analogie zum Beschluss des Ständerates beantragt also die Mehrheit der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates – wie es auch schon jene des Ständerates gemacht hat -, der Standesinitiative keine Folge zu geben.
Die Minderheit der Kommission spricht sich für ein nationales Verhüllungsverbot aus, weil Personen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, erkennbar, identifizierbar sein sollen. Ein solches Verbot erhöhe die Sicherheit an Demonstrationen und erleichtere bei gewalttätigen Auseinandersetzungen oder Sachbeschädigungen die Arbeit der Ordnungskräfte. Zudem werde mit einem Verbot religiös motivierter Verhüllung ein Beitrag zur Gleichstellung der Frauen und zu ihrer gesellschaftlichen Integration geleistet.
Was die religiös motivierte Verhüllung betrifft, stellt die Kommission fest, dass sie in der Schweiz äusserst selten anzutreffen ist, somit kein Problem darstellt und kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Auf der Grundlage des geltenden Rechts kann durchgesetzt werden, dass eine Person sich nicht verhüllen darf, wenn sie mit einer Behörde in Kontakt tritt, eine öffentliche Schule besucht usw. Diese religiöse Form der Verhüllung stellt kein Sicherheitsproblem dar.
Ein auf Bundesebene erlassenes generelles Vermummungsverbot würde in die verfassungsmässigen Zuständigkeiten der Kantone eingreifen und daher eine vorherige Verfassungsänderung erfordern. Die Wahrung der öffentlichen Sicherheit bei lokalen Anlässen soll in der Zuständigkeit der Kantone bleiben; diese sollen selbst diejenigen Lösungen finden dürfen, die ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechen.
Das sind die Gründe, weshalb die Staatspolitische Kommission mit 12 zu 10 Stimmen der Standesinitiative keine Folge geben möchte. Die Mehrheit empfiehlt Ihnen, ihr zu folgen.