Sparen, wo es den Kranken am wenigsten weh tut

  • 10. September 2011
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Sparen, wo es den Kranken am wenigsten weh tut

Andreas Faller, Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit, und Stefan Kaufmann, Direktor des Krankenkassenverbandes santésuisse, erklärten am Donnerstag im Bahnhofbuffet Olten kompetent und verständlich ihre Sicht auf das Schweizer Gesundheitswesen und die Krankenkassenprämien. Eingeladen hatte die beiden Fachleute Nationalrätin Bea Heim, ihrerseits aktive Fachfrau in der Gesundheitspolitik. Etwas mehr als zwei Dutzend weitere Personen waren als Zuhörerinnen und Zuhörer präsent, einige von ihnen nutzten die Gelegenheit für Fragen und Meinungsäusserungen im Anschluss an die Referate.

Gesundheitspolitik in Bewegung
Die Gesundheitspolitik in der Schweiz ist in Bewegung. Nur die wichtigsten Punkte konnte Nationalrätin Bea Heimin ihren einführenden Worten aufgreifen, als wichtigsten die Einführung der neuen Spitalfinanzierung im nächsten Jahr. Heim erwartet davon einen Druck auf die Krankenkassenprämien nach oben. «Seit Jahren werden immer mehr Kosten auf Prämien überwälzt», stellte die Nationalrätin fest und nannte dazu das Beispiel von ambulanten statt stationären Behandlungen im Spital. Heim: «Dass die Prämien so stark gestiegen sind, hat auch damit zu tun, dass der Staat in den 1970er- Jahren sehr viel mehr Krankheitskosten trug, nämlich 40 Prozent. 2008 waren es noch 27 Prozent.»

Ansätze zur Verbesserung
Die Nationalrätin begrüsst, dass der Bundesrat die Krankenkassenprämien künftig besser überwachen, dass er ein Qualitätsinstitut schaffen und eine Strategie für Patientensicherheit entwickeln will. Kritisch aber sieht sie, dass alles über die Krankenkassen und damit über Kopfprämien finanziert werden soll.
Einen Ansatz für Verbesserungen sieht Bea Heimbeim Vermeiden von unnötigen und von Fehlleistungen. Die Nationalrätin erklärte, in der Schweiz entständen durch Fehlmedikationen pro Jahr geschätzte vermeidbare Kosten von rund einer Milliarde Franken; durch Senken der Infektionsraten könnten weitere rund 250 Millionen und durch bessere Früherkennung rund 400 Millionen Franken jährlich eingespart werden. Gar auf 3 Milliarden Franken jährlich wird der Schaden geschätzt durch mangelnde Förderung der Gesundheit und Autonomie im Alter.
Eine Hoffnung auf eine mögliche Wende setzt Bea Heimauf die Einführung einer öffentlichen Einheitskasse, denn, so Heim: «Der Wettbewerb unter den Krankenkassen hat im Gesundheitsbereich nichts gebracht.» Sie weiss in der Forderung nach einer Einheitskasse laut einer gestern veröffentlichten Studie der santésuisse zwei Drittel der Befragten hinter sich.

Reformagenda des Bundes
Als Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) konnte Andreas Faller aus einem prall gefüllten Informationstopf schöpfen, als er die Sicht des Bundesamtes auf die Krankenkassenprämien und die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen darlegte. Er zeigte, «wie unglaublich bewegt das Gesundheitswesen ist».
Faller präsentierte eine nicht abschliessende Reformagenda des Bundesamtes mit 17 Punkten – von Aufsichtsgesetz bis Prämien 2012. Der BAG-Vertreter erklärte die Faktoren der Kostenentwicklung, die Massnahmen, mit denen diese gedämpft werden können, und die teilweise einschneidenden Folgen der Massnahmen: «Sind wir bereit, den Zugang zu kostenintensiven Behandlungen, die medizinische Versorgung und die Innovation im Gesundheitsbereich zu steuern?»
Nicht alle Sparmassnahmen aber müssen negative Folgen für die Patientinnen und Patienten haben. «Im Spitalbereich liegt ein Milliarden-Sparpotenzial – darin bin ich mit Nationalrätin Bea Heimeinig», erklärte Andreas Faller. Deshalb müssten Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen verbessert werden. Faller sprach sich klar gegen eine Rationierung der medizinischen Versorgung aus: «Es ist absolut untragbar, ältere Menschen weniger gut medizinisch zu versorgen, um Kosten zu sparen.»

Sparpotenzial in Milliardenhöhe
Der BAG-Vizedirektor erläuterte im Weiteren, wie Krankenkassenprämien festgelegt werden. Auch wenn hier das Sparpotenzial geringer ist als bei den eigentlichen Krankheitskosten, so ist es doch vorhanden. So würde rund 1 Prozent der Prämien für Versicherungswechsel aufgewendet. Ob das vorhandene Sparpotenzial jeweils ausgeschöpft wird, ist eine ganz andere Frage. Faller verwies auf die Tatsache, dass die Budgets der Kantone durch die Verlagerung von Kosten auf die Krankenkassen in den letzten Jahren hätten entlastet werden müssen. Durch die neue Spitalfinanzierung werden die Zusatzversicherungen entlastet. Auch dies müsste sichtbar werden.
Bei aller Kritik gab der Vizedirektor des Bundesamtes den Krankenkassen insgesamt eine gute Note: «Die überwiegende Mehrheit der Krankenkassen macht einen guten Job», die Schweizer Krankenversicherer würden im Allgemeinen unter ihrem Wert geschätzt, meinte er.

Gutes, aber kompliziertes System
Dem widersprach Stefan Kaufmann, Direktor von santésuisse, natürlich nicht. Er verteidigte das bestehende System der Krankenkassen, stellte aber auch fest, dass die Schweizerinnen und Schweizer schlecht verstünden, wie das ganze System funktioniert. «Es ist sehr kompliziert», schob er nach. Ein Blick auf andere Länder zeige, dass die Schweiz eine zwar teure, aber auch eine gute Gesundheitsversorgung habe. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung sei gut und die Lebenserwartung steige.

5,2 Prozent Verwaltungskosten
Kaufmann verwahrte sich gegen den oft gehörten Vorwurf, die Krankenkassen seien nicht transparent, und verwies auf die Prüfungen durch verschiedene Instanzen, denen diese unterworfen sind. Von 1996 bis 2009 seien die Kosten der Nettoleistungen der Versicherer von 1491 auf 2630 Franken pro versicherte Person pro Jahr gestiegen. Das ist eine Steigerung von 76 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Kosten für die Verwaltung in den Versicherungen von 133 auf 147 Franken – eine Steigerung von 11 Prozent.
Fazit von Stefan Kaufmann: «Die Dynamik findet im Bereich der Leistungen statt.» Kaufmann warnte vor Illusionen bezüglich Sparpotenzial bei den Krankenversicherern, denn deren Verwaltungskostenanteil mache weniger als sechs Prozent des Prämienvolumens aus.

Foto: Bruno Kissling, Bericht: Clemens Ackermann, Quelle: Oltner Tagblatt vom 10. September

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