„Anbauschlacht für erneuerbare Energien“

  • 22. August 2011
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„Anbauschlacht für erneuerbare Energien“

Nach einer gut halbstündigen Zugfahrt trifft unsere Wandergruppe von Olten kommend im Bahnhof Grenchen Süd ein. Bis zur Abfahrt mit dem Bus auf den Grenchenberg bleibt noch etwas Zeit. Das Kunstmuseum am Bahnhof, eine Villa mit einem modernen Bau ergänzt, in einem Park mit interessanten Plastiken, lädt ein, zu Fuss bis zum Postplatz, der nächsten Bushaltestelle, zu gehen.

Vorbei an verwunschen wirkenden Villen und natürlich auch am imposanten Hôtel de ville, wo Stadtpräsident Boris Banga, als „König von Grenchen“ oft geneckt, seit Jahren die Geschicke der Stadt prägt. Unübersehbar: Grenchen wächst, der Stadt geht es gut.

Grenchen will entdeckt sein: der farbenfrohe Markt im Zentrum, die herausgeputzten historischen Bauten, viele aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts,  Fussgängerzonen und offene Plätze, das topmoderne und wohlproportionierte Heim für behinderte Menschen auf dem Areal einer früheren Uhrenfabrik, oder das  hervorragend eingerichtete und gepflegte kulturhistorische Museum. Letzteres hat einen Vergleich mit Museen anderer Schweizer Städte ebenso wenig zu scheuen wie die Alta-Moda präsentierenden Kleidergeschäfte. Von der tristen Zeit der Uhrenkrise in den 1970er-Jahren ist kaum mehr etwas zu spüren: Im Branchenbuch von Grenchen sind unter dem Stichwort „Uhrenhersteller“ nicht weniger als 27 Einträge zu finden, darunter weltberühmte Marken wie Breitling, Eterna oder Fortis. Vielversprechend auch die Perspektiven für diese Stadt: Die Swatch-Gruppe plant 1000 neue Arbeitsplätze! Und an der Flughafenstrasse werden heute die besten Solarzellen der Welt produziert.

Absolut lohnenswert ist auch ein Besuch des Flughafens Grenchen. Nicht nur weil er in einer wunderbaren Landschaft, der Grenchner Witi nahe der Aare liegt, sondern weil man im Flughafenrestaurant gut isst und auf den Hangardächern die grösste Solaranlage des Kantons entsteht. Übrigens: wenn sie es mit den Grenchnern nicht verderben wollen, vermeiden sie das Wort „Flugplatz“; denn Grenchens Tor zur Welt nennt sich Flughafen und ist ein Zentrum der Pilotenschulung. Gut, der geplante Ausbau ist bei Naturschützern umstritten. Aber ich zweifle nicht, dass die Stadt zusammen mit den Umweltverbänden eine Lösung finden wird, welche das bekannte Revier der Feldhasen einigermassen unberührt belässt.

Mit einem wunderbar duftenden Parisergipfeli von der kleinen Conditorei am Weg in der Hand sind wir am Postplatz angekommen. Im Bus zum Grenchenberg sind wir  nicht allein: An diesem heissen Sommertag wollen offenbar viele Ausflügler die etwas kühlere Jurahöhe aufsuchen. Eine glückliche Gemeinschaft in bequemen Sitzen – da drehen sich die Gespräche um Alltägliches, um die neue Lehrerin in der Schule, um die Tante, die sich einen Hund zugelegt hat oder um den Nachbarn, der mit Holzkohle beim Bräteln so grosszügig ausgeholfen hat und sogar noch eine gute Flasche Wein vom Bielersee beitrug, nachdem er gleich zum Essen eingeladen worden war.

Die Busfahrt zum Unteren Grenchenberg dauert eine gute halbe Stunde, Haltestellen wie „Bettlachrank“, „Wäsmeli“ oder „Fuchsboden“ künden davon, dass wir uns vom pulsierenden Industriezentrum Grenchens entfernen und in eine liebliche Berglandschaft eintauchen. Kaum öffnen sich die automatischen Türen, dringt die Bergwelt auch über unsere Nasen in unser Bewusstsein: Der Geruch der Bergkräuter und -Gräser mischt sich mit dem Duft einer nahe gelegenen Linde, selbst der etwas strenge Geruch von Kuhweiden wirkt wohltuend. Wir sind auf dem Berg.

Juraweiden, locker mit Tannen und gelbem Enzian bestückt und eine grandiose Aussicht! Ich male mir aus, wie das Mittelland, das sich vor uns im Tal ausbreitet, wohl einst ausgesehen haben mag, als es noch weniger besiedelt war. Ich denke an die weiten Kornfelder in Frankreich, an die riesigen Wälder Kanadas, wo Wölfe und Bären noch ungestört ihren Lebensraum finden. Hier bei uns reihen sich Dörfer und Siedlungen aneinander, frisst sich ein graues Betonband von Lagerhäusern und die Autobahn durch die einst reiche Kornkammer des Kantons Solothurn. Was ist für unsere Zukunft wichtiger, Natur oder Mobilität und Konsum? Es wird eng im Mittelland. Die Zersiedelung unserer Landschaften ist ein gesamtschweizerisches Problem. Raumplanerische und verkehrstechnische Massnahmen allein werden es nicht richten. Es geht um Grundsätzlicheres: Es stellt die heute üblichen Abläufe der Verarbeitung in Frage, das Hin-und Herkarren von Gütern an die jeweils billigsten Produktionsstätten. Ist es sinnvoll, so frage ich mich, beispielsweise Bohnen von dort, wo sie am billigsten gewaschen werden zur Fabrik, wo sie am billigsten sterilisiert werden und dann zu einem weit entfernten Ort, wo sie in Dosen abgefüllt günstig etikettiert werden, zu karren? Man muss kein „Birkenstöckler“ sein, um sich deswegen die Frage zu stellen, ob die Mobilität nicht einfach zu billig ist?

Schön ist es hier oben dennoch, allen kritischen Gedanken zum Trotz.

Wir gehen weiter zum Gipfelkreuz der Stallfluh. Der ohnehin schon grandiose Ausblick wird noch faszinierender. Hier auf 1‘400 Meter Höhe, im sonnenwarmen Gras, ist der Strassenverkehr im Tal nur noch gedämpft zu hören. Etwa wie das Summen eines Bienenschwarms. Lieber wäre mir, es wäre das leise Surren der Rotorblätter des geplanten Windparks auf dem Grenchenberg. Doch noch stehen die Ergebnisse der Studie über die Fledermausverträglichkeit dieses Projekts aus.

Das grosse Wolkengebilde in der Ferne – ist es die Dampffahne von Gösgen? Hätte die Politik in den letzten 20 Jahren die erneuerbaren Energien nicht immer wieder blockiert, wären heute wohl viele Dächer mit Solaranlagen bestückt. Und ein guter Teil des Verkehrs wäre auf Solarmobilität umgestellt. Diese Technologie gibt es längst. In den 1940ger Jahren schon liess die Armee im Solothurnischen  Fahrzeuge auf elektrisch umrüsten. Es funktionierte. Schade, dass man wieder davon abkam. Die vielen Arbeitsplätze, welche die Elektromobilität dank solothurnischem Pioniergeist in der Region geschaffen hätte – ein bewegender Gedanke, angesichts der Schliessung der Papieri Biberist, um nur dieses eine Beispiel zu nennen. Müssten wir uns heute vielleicht an unseren Vorvätern ein Beispiel nehmen und eine neue „Anbauschlacht“ in Gang bringen? Eine „Anbauschlacht für erneuerbare Energie“?

Meine Wanderfreunde brechen auf zum höchsten Punkt im Solothurner Jura, auf die Hasenmatt. Der Aufstieg auf die knapp auf 1’450 Meter über Meer gelegene Hochebene wird auch hier mit einer wunderbaren Aussicht reich belohnt.  An klaren Tagen sieht man die gesamte Alpenkette, vom Pilatus bis zum Montblanc.

Unser Weg führt weiter in Richtung Weissenstein. Eigentlich müsste es jetzt nur noch bergab gehen. Der Solothurner Hausberg liegt 200 Meter tiefer als die Hasenmatt. Doch der Solothurner Jura ist keine Autobahn, die topfeben einen Punkt mit dem anderen verbindet. Der gut ausgebaute Wanderweg führt vielmehr durch eine hügelige Landschaft, durch offenes Weideland und schattige Waldungen. Hier, etwas abseits des Grates und mit nördlicher Ausrichtung zur zweiten Jurakette, wird es plötzlich ganz still. Wir geniessen die Ruhe am Fusse der felsigen Landschaft.

Dann erreichen wir das wunderbar renovierte Kurhaus Weissenstein. Es ist freundlich hell und hat seinen rustikalen Charme bewahrt. Viel Holz und da und dort steht ein schönes altes Stück, ein Sofa, ein Schrank, auf tiefen Fenstersimsen eine Kerze. Die SAC-Stube ist und bleibt das Schmuckstück. Auf der Terrasse geniessen wir das Bimmeln der Kuhglocken, diskutieren über die jüngste Weissenstein-Schwingete, ereifern uns für und wider den Erhalt der ältesten Sesselibahn auf diesen Solothurner Hausberg, geniessen einen feinen Beeren-Coup und den sanft rötlichen Sonnenuntergang. Ich denke an all das Schöne, das das Mittelland und die unter uns liegende Stadt Solothurn – ein wahres Barok-Juwel – zu bieten haben. Die Filmtage, die Literaturtage, das Classic Openair  vor den historischen Mauern, ein Schriftsteller wie Peter Bichsel, den ich als kritischen Zeitzeugen bewundere. Da, weit unter uns zieht ein Milan, ein Selzacher Storch ist es wohl kaum, seine Kreise. Er zeigt mir: Dieses Mittelland ist lebenswert. Den Storch haben wir geschützt, bevor er ganz verschwunden ist. Schützens- und liebenswert ist dieses Mittelland, die Region am Jurasüdfuss mit seinen Naturweiden glücklicherweise auch heute noch.

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