Die Personenfreizügigkeit sei «eher eine Chance» für die Schweiz. Freilich müssten die flankierenden Massnahmen perfektioniert werden. – Dies das einhellige Fazit der Teilnehmer einer Veranstaltung, zu der Bea Heim eingeladen hatte.
Mit Seco-Chef Serge Gaillard, Daniel Morel vom Solothurner Amt für Wirtschaft (AWA) und dem Gewerkschafter Markus Baumann hatte Bea Heim ein illustres Trio für ihre Politveranstaltung mit dem Titel «Personenfreizügigkeit – so nicht» angeheuert. Rund 30 Interessierte folgten der Einladung ins Restaurant Aarhof in Olten. Auf der einen Seite, so die SP-Nationalrätin aus Starrkirch Wil bei der Einführung ins Thema, sei die Stimmung äusserst emotional – die Angst vor Lohndumping beschäftige die Leute –, auf der andern Seite zeige das Departement des Innern auf, «dass die Zugewanderten die Sozialwerke stärken, weil sie mehr einzahlen, als sie an Leistungen beziehen». Und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) melde, dass es der Schweiz dank der Zuwanderung von Arbeitskräften aus der EU gut gehe. Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze seien eine Folge der Personenfreizügigkeit. Für Politik und Arbeitgeber sei diese klar eine Erfolgsgeschichte. Kontrollen jedoch, so Bea Heimweiter, hätten – flankierende Massnahmen hin oder her – ans Tageslicht gebracht, dass die Lohndrückerei eine Tatsache sei, sowohl durch ausländische Entsendebetriebe wie durch Schweizer Arbeitgeber. Für sie sei klar, so Heims Schlussfolgerung: «Es braucht ein griffiges Sanktionssystem, wenn wir die Bilateralen nicht gefährden wollen.»
Markus Baumann, Präsident des Solothurner Gewerkschaftsbundes sowie der kantonalen Arbeitskontrollstelle (AKS), konstatierte, die vertraglichen Sanktionen seien nicht durchführbar, die staatlichen schon eher, doch verfehlten sie die abschreckende Wirkung. Im Kanton Solothurn, so der SP-Mann aus Derendingen, sei eine massive Zunahme der Scheinselbstständigkeit festzustellen. Im ersten Quartal 2011 sei bei den Entsendemeldungen eine Zunahme um rund 40 Prozent registriert worden. Der Druck auf die Schweizer Löhne steige. Anhand der letztjährigen Zahlen schätzte Baumann, dass etwa 15 Prozent der Arbeitnehmenden – gemessen am orts- und branchenüblichen Lohn – geprellt würden.
Dienstleistungssperre statt Busse
Auch für Baumann ist klar: «Die Kontrolltätigkeit muss erhöht und die Sanktionen müssen verschärft werden.» Wobei im Kanton Solothurn 2010 mit 1430 kontrollierten Arbeitgebern auf 2837 Meldungen die Kontrollquote recht hoch war. Daniel Morel, im AWA zuständig für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen, wies darauf hin, dass das Entsendegesetz bei den Bussen eine Obergrenze von 5000 Franken kennt. Wirksamer als die Bussen dürfte deshalb eine Dienstleistungssperre sei, die das AWA für einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren verhängen kann. Konventionalstrafen, erklärte Seco-Leiter Serge Gaillard, könnten zwar höher ausfallen als die Bussen, liessen sich aber im Ausland nicht durchsetzen.
Weitere flankierende Massnahmen
Markus Baumann legte einen ganzen Katalog möglicher Massnahmen vor. So schlug er beispielsweise eine achttägige Voranmeldepflicht auch für «Selbstständige» und «Ich-Aktiengesellschaften» vor. Weiter empfahl er eine Umkehr der Beweislast beziehungsweise den Nachweis der Selbstständigkeit, scharfe Sanktionen im Wiederholungsfall auch für den Auftraggeber und gesetzliche Mindestlöhne. Von
Bea Heimgefragt, welches für ihn die drei vordringlichsten Punkte wären, nannte Baumann die Solidarhaftung für Betriebe mit «Sub-sub-sub–Leistungserbringern», eine Kautionspflicht für Entsendebetriebe und die Ausdehnung der GAV-Pflicht auf die «Selbstständigen».
Was, wo es keine Gesamtarbeitsverträge gibt? Zu dieser Frage meinte Serge Gaillard, wenn es schlimm werde, könnten die Kantone (im Klagefall) einen Mindestnormallohn durchsetzen. Verschärft stelle sich diese Problematik vor allem in Grenzkantonen wie Genf, Tessin und Wallis. Gaillard sagte in diesem Zusammenhang jedoch, eine Gesetzesänderung sei notwendig. Denn: «Wer klagt schon gegen seinen Arbeitgeber?» Die Personenfreizügigkeit beurteilte Gaillard insgesamt eher als Chance für die Schweiz, «wenn wir einen gewissen Lohnschutz einführen und unsere Jugendlichen so gut ausbilden, dass sie die Konkurrenz nicht fürchten müssen.» Eine echte Gefahr ortete der Seco-Chef in der derzeitigen Franken-Hausse. Klar sei: «Wenn wir wachsen wollen, wird es immer eine gewisse Einwanderung geben.» Im Allgemeinen gelte, dass die Ausländer ergänzend zu den Schweizer Arbeitnehmenden ins Land kämen – und nicht als Konkurrenz.
Quelle: Oltner Tagblatt, 7. Juli 2011