«Sicherheit gibts nicht auf Aktienbasis»

  • 08. Oktober 2009
  • Medien
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Häusliche Gewalt und Jugendgewalt als zentrale Themen der Pro-Tell-Herbsttagung 2009 in Olten
Die Herbsttagung von pro Tell, der «Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht», war dem Thema «häusliche Gewalt und Jugendgewalt» gewidmet.

Walter Ernst

Zur Einstimmung in das Podiumsgespräch referierten an der Pro-Tell-Tagung in Olten die Nationalrätinnen Bea Heim (SP/SO) und Andrea Martina Geissbühler (SVP/BE) sowie deren Ratskollegen Walter Müller (FDP/SG) und Pius Segmüller (CVP/LU) über gesellschaftliche Auswüchse, welche die Gesellschaft täglich erschüttern, aber auch eine gewisse Ohnmacht auslösen.

Ziel der Tagung, sagte Pro-Tell-Präsident Willy Pfund, sei es, aufzuzeigen, wo die Ursache von Jugendgewalt und häuslicher Gewalt liege und wie sie lösungsorientiert angegangen werden könne. Die Häufung von Informationen über Übergriffe auf die physische und psychische Integrität, meinte der Solothurner alt Nationalrat, mache deutlich, dass diese Probleme durch Wegschauen respektive Nichteingreifen der Einzelnen wie der Behörden nicht gelöst werden könnten.

Bea Heim für mehr Polizeipräsenz

Für Bea Heim ist es eine Tatsache, dass die Gewalttaten von Jugendlichen immer brutaler und die Täter immer jünger werden. Sie fordert deshalb mehr Kontrollen im öffentlichen Raum und mehr Präsenz von Sicherheitskräften. «Der Unterbestand der Polizei ist mir ein Dorn im Auge.» Und: «Damit das Jugendstrafverfahren wirksam ist, muss die Justiz rasch und spürbar reagieren.»

Die häusliche Gewalt, so die Nationalrätin aus Starrkirch-Wil, sei in der Schweiz lange verdrängt worden. Erst seit 2004 seien häusliche Gewalt, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe und Partnerschaft Offizialdelikte. «Jugendgewalt und häusliche Gewalt sind sehr vielschichtig», ist Bea Heim überzeugt, «mit Sicherheit sind sie aber eine Herausforderung, der sich die Gesellschaft stellen muss.»

Geissbühler für «Trendwende»

Andrea Martina Geissbühler, Polizistin bei der Kantonspolizei Bern, befand, häusliche Gewalt sei ein schwieriges Thema. Die Ursachen ortete sie primär in der Kindheit, in erlebter Gewalt, im Alkoholkonsum, in finanziellen Schwierigkeiten, Untreue, sozialer Isolation oder fehlenden Strategien zur Konfliktbewältigung. «Für uns Polizisten ist die häusliche Gewalt eines der aufwändigsten Delikte überhaupt.» Punkto Jugendgewalt zeigte sich Geissbühler überzeugt: «Die Jugendlichen brauchen klare Signale und Grenzen, an die sie sich halten müssen. Mit einem Kuschel- und Wohlfühljugendstrafrecht werden nur noch grössere Probleme geschaffen.» Eine Trendwende sei hier deshalb notwendig.

«Problem Freizeitverhalten»

Walter Müller sprach von den Veränderungen bei der Gewaltbereitschaft in den letzten Jahren. Er sprach die «veränderten Risikofaktoren» wie etwa die «Freizeitgestaltung nach individueller Planung» an, frühere sexuelle Aktivität, ein verändertes Ausgehverhalten und den vermehrter Alkoholkonsum. Jugendliche aus unvollständigen Familien seien stärker betroffen. Das Problem einzig bei den Eltern zu suchen, so Müller weiter, sei aber verfehlt. «Vielmehr hat sich gezeigt, dass ein grosser Teil mit dem Freizeitverhalten zusammenhängt.»

Auf der politischen Ebene und gerade auf Stufe Bund gebe es viele Berichte – und gehandelt werde wenig. Doch, so sein Fazit, zunächst gelte es, die Probleme und deren Ursachen zu erkennen. Dann müssten, um das Problem «Jugendgewalt» zu lösen, alle «an Bord» sein: Eltern, Jugend, Lehrer, Polizei und Justiz. Und schliesslich brauche es Durchsetzungswillen und Ausdauer.

Zuständigkeiten klären

«Was ist eigentlich Sicherheit?», fragte Pius Segmüller, ehemaliger Kommandant der päpstlichen Schweizergarde und heute Chef Sicherheit der Fifa. Seine Antwort: «Sicherheit ist eine umfassende und integrale Aufgabe, sei es im Innern unseres Landes oder für die Sicherheit des Landes gegen aussen.» Und Segmüller weiter: «Sicherheit gibt es nicht auf Aktienbasis – das bedeutet, dass sich jemand um sie kümmert.»

Der Referent zeigte sich auch überzeugt, dass Sicherheitsorganisationen Stärken und Schwächen haben. «Wir kommen nicht darum herum, wenn Sicherheit eine einheitliche Aufgabe ist, die Zuständigkeit zwischen Bund, Kanton und Gemeinden sowie zwischen öffentlichen und privaten Sicherheitsorganisationen zu klären.» Im Weiteren vertrat der Luzerner die Auffassung, dass man Sicherheit nicht erreicht, indem man Zäune errichtet, sondern indem man Tore öffnet.

Im Podiumsgespräch stellte sich das Quartett dann den Fragen des Moderators Roger Thiriet sowie des Publikums.

© Oltner Tagblatt / MLZ; 06.10.2009; Seite 22

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