Mehr Transparenz zur Stärkung der Volksrechte

  • 17. März 2009
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Mehr Transparenz zur Stärkung der Volksrechte

Eingereichter Text
Der Bundesrat wird beauftragt, Massnahmen vermehrter Transparenz zur Stärkung des Initiativrechts zu evaluieren. Insbesondere ist zu prüfen, ob das Bundesgesetz über die politischen Rechte dahingehend ergänzt werden soll, dass im Rahmen der Vorprüfung nach Artikel 69 die Bundeskanzlei im Vorfeld der Unterschriftensammlung prüft, ob der Initiativtext bei einer Annahme zu Widersprüchen mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz führt. Die Initiantinnen und Initianten bleiben frei, ihre Initiative zu lancieren. Für den Fall, dass sich mögliche Widersprüche ergeben könnten, haben sie jedoch die verbindliche Pflicht, gut sichtbar auf der Front der Unterschriftenbögen auf diese Widersprüche hinzuweisen.

Begründung
Es kommt immer wieder vor, dass Initiativen zustande kommen oder von Volk und Ständen angenommen werden, die so nicht umgesetzt werden können. Die Minarett-Initiative ist ein aktuelles Beispiel. Bei einer Annahme wird eine eventuelle Klage vor dem Europäischen Gerichtshof dazu führen, dass letztlich dieser als „Verfassungsgericht“ über die schweizerische Gesetzgebung entscheidet. Weiter könnte die Schweiz ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht mehr einhalten respektive müsste sie aufkünden. Es gehört zu den demokratischen Pflichten, den Bürgerinnen und Bürgern die problematischen Folgen einer Initiative aufzuzeigen, damit er beziehungsweise sie in Kenntnis derselben entscheiden, ob sie beziehungsweise er die Initiative unterschreiben will oder nicht.

Antwort des Bundesrates vom 13.05.2009
Volksinitiativen, die im Falle ihrer Annahme durch Volk und Stände Widersprüche zwischen dem Landesrecht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz schaffen, sind ein echtes Problem, das nicht einfach ignoriert werden kann. Dass die Bundeskanzlei Urheber von Volksinitiativen verpflichten könnte, gut sichtbar auf der Front der Unterschriftenbögen auf Widersprüche zwischen ihrer Volksinitiative und dem Völkerrecht aufmerksam zu machen, derweil die Behörden frei bleiben, liefe jedoch auf eine Beschränkung des Initiativrechts hinaus. Öfters sind die Meinungen über die Völkerrechtskonformität selbst unter Rechtsgelehrten geteilt. Die Bundeskanzlei ist nicht Zensor, sondern Dienerin des Volkes, welches seine Rechte eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Auch Volksinitiativen sind aber im Fall ihrer Annahme durch Volk und Stände völkerrechtskonform auszulegen.

Die Bundeskanzlei pflegt die Urheberschaft eidgenössischer Volksinitiativen seit Jahrzehnten auf Probleme hinzuweisen, die hinsichtlich der Gültigkeit einer Volksinitiative entstehen könnten, und in solchen Fällen vorzuschlagen, einen schweizerischen Staatsrechtslehrer zu konsultieren. Die Vorprüfungsverfügung der Bundeskanzlei macht zudem standardmässig und ausdrücklich darauf aufmerksam, dass über die Gültigkeit der Volksinitiative erst nach ihrem Zustandekommen entschieden wird (für die Volksinitiative „gegen den Bau von Minaretten“ vgl. BBl 2007 3231 Ziff. 1 letzter Satz).

Freilich setzt solches Verwaltungshandeln voraus, dass Verfassungsgrundlagen vorhanden sind, die entsprechende Aussagen erlauben. Die Bundesverfassung reserviert die Ungültigerklärung einer Volksinitiative mit Vorbedacht der einzigen Behörde, die selber vom Volk direkt und demokratisch gewählt ist, nämlich dem Parlament (Art. 173 Abs. 1 Bst. f BV). Sie definiert auch die Ungültigkeitsgründe (Art. 139 neu Abs. 2 und Art. 194 Abs. 2 und 3 BV): Es sind die Verletzung der Einheit der Form, der Einheit der Materie oder zwingender Bestimmungen des Völkerrechts. Normen des Völkerrechts sind nur sehr ausnahmsweise zwingend im Sinne dieser Verfassungsnormen, die durch Artikel 53 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) inspiriert wurden. Dazu gehören nach heutiger allgemeiner Rechtsüberzeugung (vgl. die Botschaft des Bundesrats vom 20. November 1996 über die Totalrevision der Bundesverfassung, BBl 1997 I 362) die Verbote des Angriffskriegs, des Genozids (Uno-Pakt II vom 16. Dezember 1966 über die bürgerlichen und politischen Rechte, SR 0.103.2, Art. 6 Abs. 1-3), der Folter (Uno-Folterkonvention vom 10. Dezember 1984, SR 0.105, Art. 2 Abs. 2 und 3 und Art. 3; Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4. Oktober 1950, SR 0.101 Art. 3; Uno-Pakt II, Art. 7) und der Sklaverei (Uno-Pakt II, Art. 8, 11 und 16; EMRK, Art. 4 Abs. 1) sowie die Grundzüge des humanitären Kriegsrechts, ausserdem das Non-Refoulement-Prinzip (Genfer Flüchtlingskonvention, SR 0.142.30, Art. 33) und die notstandsfesten Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, Art. 15). Die derzeit stark diskutierten Volksinitiativen zur Verwahrung, zur Ausschaffung delinquierender Ausländer und zur Unverjährbarkeit sexueller Straftaten an Kindern haben auch nach der Meinung der eidgenössischen Räte keine zwingenden Normen des Völkerrechts verletzt. Der Vorschlag der Postulantin wurde im vergangenen Jahrzehnt im Ständerat ausgiebig diskutiert und schliesslich als ungangbarer Weg abgelehnt. Auch der Bundesrat erachtet eine materielle Vorprüfung von Volksinitiativen durch eine Verwaltungsstelle und das Anbringen eines Hinweises auf mögliche Konflikte mit völkerrechtlichen Verpflichtungen als untaugliche Lösung. Klar ist dabei für den Bundesrat, dass jede Einführung weiterer Ungültigkeitsgründe für Volksinitiativen einer Verfassungsänderung bedürfte. In Umsetzung des Postulats Pfisterer 07.3360 wird der Bundesrat dem Parlament in absehbarer Zeit einen Bericht über Möglichkeiten zur Stärkung der präventiven Verfassungskontrolle unterbreiten, und zur Erfüllung der Postulate 07.3764 der Rechtskommission des Ständerates und 08.3765 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates wird er das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht in seinen verschiedenen Facetten in einem Bericht an die eidgenössischen Räte darlegen. Bei diesen Gelegenheiten wird auch das Anliegen des vorliegenden Postulats überprüft. Ein weiterer Bericht hingegen vermag dazu nichts beizutragen.
Erklärung des Bundesrates vom 13.05.2009

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.

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