Rede am Traditionsanlass der Zürcher, eingeladen von der Gesellschaft zu Fraumünster am 14.4.08 – der Kanton Solothurn war Gastkanton
Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Einladung ans diesjährige Sechseläuten. Ich freue mich ausserordentlich, dass ich als Ehrengast mit ihnen mit marschieren durfte.
Ich bin beeindruckt von der Sorgfalt, mit welcher Sie diesen Anlass vorbereitet haben. Dies ist für mich ein weiterer Beweis für das besondere Organisationstalent von uns Frauen, die wir durchaus auch in der Lage sind, innerhalb von nur 1 Woche Tausende zu einer Solidaritätskundgebung vors Bundeshaus zusammenzurufen.
Ich freue ich mich auch, dass weder von meiner noch von Ihrer Seite ein Gesinnungswandel zwischen Einladung und heutigem Anlass nötig war. Offenbar kann heute eine Einladung nicht mehr definitiv befolgt werden, sondern muss fallweise aus Sicherheitsüberlegungen und um das Fest nicht zu stören auch mal zurückgenommen werden. Selbst hohe Magistratinnen sind vor derartigen Entscheiden nicht gefeit. Damit bekommt ein Fest, das eigentlich nur den Winter vertreiben wollte, plötzlich eine neue Dimension: Es vertreibt zwar noch immer möglicherweise den jahreszeitlichen und klimatischen Winter, (was angesichts der sich häufenden Klima – und Wetterkapriolen auch nicht mehr so sicher ist), und macht dem Frühling Platz, es zementiert neu aber den politischen Winter und die kalte Klima im Umgang mit Anders denkenden. Das ist eine neue Dimension in der Tradition des Sechseläutens, und es ist keine erfreuliche Entwicklung.
Weitaus erfreulicher ist – und das nimmt Frau selbst im fernen Kanton Solothurn zur Kenntnis – , dass eine Frauenzunft allmählich eine Männerbastion schleift. Ich gratuliere ihnen, dass sie damit einen weiteren Etappensieg errungen haben und nun heute erstmals auf der gleichen Route marschiert sind wie die zünftigen Männer. Und- sie sind als Avantgarde – vorausgegangen, wenn auch ohne spezielle Erwähnung. – Habt Verständnis dafür, dass die Herren der Schöpfung sich schwer damit tun, diesen Frauen-Sieg einzugestehen. Wir wollen ja nicht kleinlich sein; die je nach Stimmung 5 oder 15 Zentimeter, die sie uns voraus haben, gönnen wir ihnen gerne.
Gut, für die Menschheit ist es möglicherweise ein kleiner Schritt, für die Zürcher Zünftler aber ist es allemal ein grosser Sprung.
Dass sie das, liebe Fraumünster-Frauen in nur 20 Jahren seit der Gründung Ihrer Gesellschaft fertiggebracht haben, das ist für schweizerische Verhältnisse ein geradezu rasantes Tempo – im Vergleich etwa zu den 60 Jahren, die wir auf eidgenössischer Ebene für einen Mutterschutz gebraucht haben.
Männerbastionen zu schleifen ist an sich ein gefährliches Unterfangen. Davon können vor allem politische Frauen jeglicher Couleur ein Liedchen singen, ob sie nun Uchtenhagen heissen oder Kopp, Brunner, Metzler oder Widmer-Schlumpf. Dass sie aneckten, hatte und hat, so versichert man uns, nichts mit ihrem Geschlecht zu tun. Die eine hatte den falschen Namen, die andere den falschen Ehemann. Gelingt es aber einer Frau, den scheinbar mächtigsten Mann vom Sockel zu stossen, dann kann etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. – Verrat, Pakt mit dem Bösen das erinnert einen doch an längst vergangene Zeiten
Anna Göldin wurde 1782 als letzte Hexe der Schweiz auf dem Galgenhügel in Glarus enthauptet. Sie war, als selbstbewusste Frau, dem Männervolk ein Dorn im Auge. Anna Maria Schmidig war, ein paar Jahre zuvor Opfer ihrer Kühnheit geworden, einen Krämerladen zu eröffnen, Soldaten zu bewirten und auch sonst unerhörte Neuerungen einzuführen. Vor dem Verbrennen wurde ihr, als Akt der Barmherzigkeit, ein Säckchen Schwarzpulver umgebunden.
Der Bög ist ein Mann. Das lässt mich aufatmen. Auch er hat den barmherzigen Feuertod zu erleiden, vollgespickt mit Schwarzpulver. Zum Requiem aber wird ihm wenigstens doch der Sechseläutemarsch geblasen.
Sie haben mich als Frau ans Sächsiläute eingeladen und als Vertreterin des Gastkantons Solothurn. Wir haben unseren Besuch in Zürich unter das Motto Chapeau gestellt und dazu im Vorfeld dieses Besuchs möglichst viele Hüte gesammelt traditionelle, ausgefallene, originelle Nicht weil wir unter jeden Hut passen, sondern weil wir Ihnen die Vielfalt unseres Kantons, unsere Kultur, unsere Musik, unsere Gastronomie und unsere wirtschaftlichen Leistungen vorstellen mochten, aber auch unsere Geschichte, geprägt von immerhin 250 Jahren als Sitz der französischen Ambassadoren in unserer Kantonshauptstadt. Mit Chapeau bedanken wir uns für die Einladung aus Zürich, mit einem Hauch französischer Galanterie und durchaus auch mit einem Augenzwinkern.
Und wir stellen fest, wir haben mit Zürich etwas gemeinsam, eine gewisse Kopflosigkeit:
In Solothurn sind es die beiden Standesheiligen Urs und Viktor, ehemals römische Legionäre: Sie wurden wegen ihres christlichen Glaubens geköpft und darum ist ihnen das Wahrzeichen Solothurns, die St.Ursen-Kathedrale geweiht.
In Zürich sind es die enthaupteten Stadtheiligen Felix und Regula. Am Ort ihres Märtyrergrabes steht das Fraumünster, ein Wahrzeichen Zürichs mit dem Kloster. Schon zu Zeiten der mächtigen Babtissin des Fraumnsterklosters, de iure der Stadtherrin von Zrich, gab es immer wieder Reibereien zwischen den Chorherren des Grossmnsters und den Stiftsdamen des Fraumnsters, bis im Streit um den Vortritt bei der traditionellen Pfingstprozession das Gelnder der Brcke brach und die Nonnen und Mnche in die Limmat fielen. Es ging bereits damals um Würde, um Macht, um die Vorherrschaft.
Die kalte Limmat vermochte die Hitzköpfe wieder zu beruhigen, aber der Konflikt der Geschlechter prägt die Zugsreihenfolge bis heute. Da gibt es zwar Knigge und Kluse, Schuhmacher, Schneider, Schmiede und Schiffleute, aber keine Frauen. Selbst die Tiere sind vertreten, von Meisen über Schafböcke (Widder) bis hin zu den Kamelen männliche Dominanz auch hier.
Aber die Frauen holen auf. Die Fraumünsterzunft marschiert im Festzug voraus, die Männer folgen den Ochsen und ihrem mittelalterlichen Wagen. Symbole sagen oft mehr als 1000 Worte. Fakt ist, dass heute mit Frau Kathrin Martelli, als oberster Bauherrin der Stadt eine Frau dafür sorgt, dass die Geländer der Brücken dem Gedränge standhalten.
Heute ehrt die Fraumünsterzunft Lydia Welti-Escher, die Gründerin der Gottfried-Keller-Stiftung, eine selbstständige und emanzipierte Frau, deren Geburtstag sich heuer zum 150. Mal jährt. Während das vom Solothurner Künstler Richard Kissling geschaffene Denkmal ihres Vaters, des Eisenbahnknigs und Bankengründers Alfred Escher, die Reisenden auf dem Bahnhofplatz empfängt, ist Lydia Weltis feministische Schrift Gedanken einer Frau, die sie in einer Irrenanstalt in Rom verfasst hat, bis heute verschollen.
Liebe Frauen, der Bög ist verbrannt, es kann Frühling werden. Anders als unsere Schwestern von gestern wirken wir Frauen heute allen Widerständen zum Trotz nicht bloss im Hintergrund, sondern gedanklich nicht selten vorausgehend bei der Gestaltung der Zukunft kräftig mit. So soll es sein. Und dazu wünsche ich ihnen und uns allen Energie, Mut und Standhaftigkeit.