Wir wollen mehr Respekt

  • 01. Mai 2007
  • Reden
  • 0 Kommentare

1. Mai 2007 in Solothurn

«Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen», heisst ein altes Sprichwort.

Der Einbruch der SP bei den Wahlen in Zürich war ein schwarzer Tag für meine Partei, für die ganze Linke und die Gewerkschaften. Aus welchen Gründen auch immer die SP so massiv verloren hat, jetzt öffentlich miteinander abzurechnen und längst geschlossene Gräben wieder neu auf zu reissen, bedeutet, den Abzockern, Sozialabbauern und Umweltzerstörern in die Hände zu spielen.

Es geht nicht darum, jetzt Schuldige zu suchen, sondern Fehler zu finden und sie rasch zu korrigieren – gemeinsam in gegenseitigem Respekt. Denn einer der Grundwerte der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Bewegung ist und bleibt die Solidarität.

Und die Geschichte unserer Bewegung lehrt uns, dass wir immer dann am erfolgreichsten waren, wenn wir geschlossen marschiert sind. Lasst uns deshalb das Zürcher Debakel als Weckruf verstehen, als Fanal, die Reihen wieder zu schliessen.

Als Nationalrätin bin ich mir der Bedeutung einer starken, linken Vertretung in den eidgenössischen Räten sehr bewusst. Aber lasst uns nicht wie das Kaninchen vor der Flinte in panischer Besessenheit auf Wahltermine starren und unser politisches Engagement allein an wahltaktischen Überlegungen ausrichten. Das führt zu politischer Beliebigkeit und sozialer Kumpanei.

Besinnen wir uns auf unsere Grundanliegen wie soziale Gerechtigkeit und intakte Umwelt. Verfechten wir diese Anliegen konsequent an den Arbeitsplätzen, in den Parlamenten und auf der Strasse. Handlungsbedarf gibt es weiss Gott genug.

So ist der Traum von der sozialen Marktwirtschaft im Zeichen der Konkordanz längst geplatzt, von Schmusekurs keine Spur.

Erst waren es die Grosskopfeten der Global Players wie Ospel, Vasella, Grübel & Co., die mit ihren Millionengagen jeden sozialen Anstand abgelegt haben. Jetzt nehmen sich sogar die Chefs von kleineren Unternehmungen und Banken diese Abzocker als Vorbild und schanzen sich im gegenseitigen Wettbewerb Mondgehälter, Boni und Optionen zu und sichern sich ihre persönliche Bereicherung auch gleich noch mit Fallschirmen in Millionenhöhe ab.

Aber wo bleiben die Existenz sichernden Löhne für alle, wo bleibt die längst fällige Lohnerhöhung für jene, die diesen Boom und Reichtum mit ihrer Hände Arbeit geschaffen haben?

Nirgends! Die Löhne stagnieren und die Arbeitslosigkeit nimmt nur langsam ab.

  • Als wir in den Krisenjahren für sichere Arbeitsplätze gekämpft haben, haben sie mit dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht, die sie gar nie geschaffen haben.
  • Als wir in der gleichen Zeit mit nur bescheidenen Lohnforderungen ein wenig mehr soziale Gerechtigkeit verlangt haben, haben sie auf die in Bälde zu erwartenden Gewinne vertröstet, die sie jetzt in die eigene Tasche stecken.
  • Als wir vor der sozialen Sprengkraft fehlender Lehrstellen und Jugendarbeitslosigkeit gewarnt haben, haben sie auf die heilsbringende Wirkung des Marktes verwiesen, in dem Jugendliche nun bestenfalls Spielbälle in der Lotterie willkürlicher Berufszuteilung sind.
  • Als wir den volkswirtschaftlichen Unsinn der steigenden Altersarbeitslosigkeit gegeisselt haben, haben sie das Rentenalter 67 propagiert!

So geht es nicht! Wir wollen mehr Respekt! Mehr Gerechtigkeit!

Der 1. Mai 2007 steht unter dem Motto «Respekt!». Respekt meint, dass die Menschen nicht nur ein Recht auf Arbeit haben, sondern auch ein Recht auf gute Arbeit und anständige Arbeitsbedingungen. Die menschliche Arbeit ist keine Ware und schon gar keine Billigware. Prekäre Arbeitsbedingungen und der Zwang zur Billigarbeit widersprechen der Menschenwürde.

Arbeit für alle zu würdigen Bedingungen, anständige Löhne und sichere Renten, das sind die wirtschaftspolitischen Ziele der Gewerkschaften und der Linken. Und wenn es auch nicht gerade zum Besten steht, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass ohne uns, ohne die Kraft einer gemeinsamen linken Bewegung die Löhne noch tiefer, die Arbeitsplätze noch prekärer, die Zahl der Arbeitslosen und Working poor noch grösser und das Elend der Rentenbezüger, Ausgesteuerten und Sozialhilfeempfänger noch dramatischer wären. Wir sind nicht so machtlos, wie es zuweilen scheint. Wir dürfen nur nicht so blauäugig sein und meinen, die Lösung dieser Probleme könnten wir alleine an die institutionelle Politik in Parlamenten und Regierungen oder an die Gewerkschaftssekretäre in den einzelnen Branchen delegieren.

Wo immer wir der Macht und Arroganz des Kapitals erfolgreich die Stirn geboten haben, konnten sich die linken Politiker und Gewerkschafter auf eine breite und entschlossene Bewegung verlassen.

Aber die politische Bewegung findet nicht online im stillen Kämmerlein statt. Die politische Bewegung entfaltet da ihre Kraft und Wirksamkeit, wo wir sie durch unser gemeinsames Auftreten und die kollektive Entschlossenheit sichtbar werden lassen. Wenn wir wieder zu diesem Kampfgeist und dieser Mobilisierungsfähigkeit zurückfinden, dann sind anständige Lohnerhöhungen, Existenz sichernde Löhne und Renten, Arbeitsplatzsicherheit und Lehrstellen für alle keine Worthülsen mehr, sondern auf der Tagesordnung.

Denn vergessen wir nicht, Geld und Ressourcen dazu sind in diesem Land im Übermass vorhanden – aber ungerecht verteilt sind sie! Die Lohnabhängigen produzieren Reichtum wie nie zuvor und dennoch werden viele immer ärmer. Spitzenlöhne und Börsengewinne steigen, die Kaufkraft der Lohnabhängigen nimmt stetig ab und die Zahl der Familien in Armut nimmt zu. Das macht eine Gesellschaft brüchig. Wir haben genug von einer Gesellschaft, in der Solidarität je länger je mehr zu einem Fremdwort wird, in der die Reichen immer reicher, der Mittelstand zerrieben und die Armen immer ärmer werden. Wir können und wir müssen zusammen stehen und dieser brisant-gefährlichen Entwicklung Einhalt gebieten.

Wenn uns dieses gemeinsame Zusammenrücken nicht gelingt, dann geht der Zug in die verkehrte Richtung. Bereits sind die Weichen für diesen Zug in die verkehrte Richtung gestellt. So zum Beispiel bei der IV-Revision, über die wir am 17. Juni abstimmen. Lusche Arbeitgeber haben während Jahrzehnten vor allem ältere Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitstempo nicht mehr mithalten konnten, nicht mehr weiter beschäftigt, sondern in die IV abgeschoben. Und jetzt verordnen ihre Wasserträger in den bürgerlichen Parteien die Sanierung der IV auf Kosten der Behinderten. Das heisst, die gleichen Kreise wollen die Sozialwerke jetzt auf Kosten der Opfer sanieren, die sie selbst mit produziert haben.

Viele Arbeitgeber mit Verantwortungsbewusstsein goutieren solche Exzesse der „Grossen“ ebenso wenig wie wir. Schade, dass sie der neoliberalen Managerkaste nicht Paroli bieten.

Darum: wenn wir nicht zusammenrücken, dann geht der Zug in die verkehrte Richtung, z.B. auch mit der neuen Unternehmenssteuerreform:

  • Diese Vorlage will die Aktionäre auf dem Buckel der Lohnabhängigen steuerlich privilegieren. Das heisst, wir Lohnabhängigen sollen den Überfluss der Reichen mit mehr Gebühren und indirekten Steuern finanzieren!?
  • Diese Vorlage schadet der AHV, bedroht den Teuerungsausgleich auf unseren Renten und verschiebt das flexible Rentenalter auf den Sanktnimmerleinstag.
  • Diese Vorlage schadet dem Werkplatz Schweiz, indem die Gewinne nicht mehr in die Unternehmen, in die Weiterbildung der Mitarbeitenden und in Zukunftstechnologien investiert werden, sondern auf die Kapitalmärkte abfliessen. Und von da greifen sie dann in Form von Hedgefunds und anderen Raubritterwaffen gesunde Unternehmen wie die Sulzer oder Implenia an und saugen sie aus.
  • Diese Vorlage raubt dem Staat die Mittel, die er für seine Aufgaben im Interesse des Gemeinwesens und des allgemeinen Wohlstandes braucht. Kommt diese Unternehmenssteuerreform durch, dann bleiben gesicherte Renten, öffentlicher Verkehr, Infrastrukturinvestitionen, sozialer Wohnungsbau, ein modernes Bildungswesen, ein gutes Gesundheitswesen und noch vieles mehr auf der Strecke. Dieses Ausbluten des Staates dürfen wir nicht zulassen!

Kolleginnen und Kollegen, nur Steuern senken, das ist keine Politik, sondern beraubt den Staat jener Mittel, die er braucht, um ein soziales Gemeinwesen aufrecht zu erhalten und die dringenden Massnahmen zur Rettung unserer Umwelt umzusetzen.

Spätestens nach dem warmen Winter und dem sommerwarmen April sollte es dem Hintersten und Letzten klar sein, was es geschlagen hat. Wir müssen endlich an die Zukunft denken. Und der Schlüssel für unsere Zukunft ist die Energie. Wir müssen weg kommen vom Öl, vom Gas, von Kohle und Uran, wir müssen unabhängiger werden. Weg von einer Energiepolitik nach dem Motto «nach uns die Sintflut», denn die schmelzenden Gletscher und Pole setzen das Wasser dafür bereits frei!

Wenn uns das gelingt, dann sichern wir nicht nur den Erhalt unserer Umwelt sondern auch unsere Arbeitsplätze! Energieeffizienz und die Nutzung erneuerbarer Energien schonen die Umwelt und schaffen zukunftsträchtige Arbeitsplätze. Minergie- oder sogar Null-Energiehäuser, Sanierung von Altbauten, Solarenergie und Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen auf der Basis von Holz oder organischer Abfälle sind nur ein paar Stichworte für das Riesenpotenzial an Arbeit und Umweltschonung, das von kurzsichtigen Bürgerlichen und Profitmaximierern zu lange unterdrückt wurde.

Österreich und Deutschland haben bewiesen, wer auf neue Umwelttechnologien setzt, schafft neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze auch für die kommende Generation. Während die in Sachen Umwelttechnologie einst führende Schweizer Wirtschaft mangels nachhaltiger staatlicher Anreize ihre Führungsrolle längst verloren hat, können die Regierungen unserer beiden deutschsprachigen Nachbarländer nun die Früchte ihres Engagements ernten: Unzählige neue Firmen mit tausenden von Arbeitsplätzen bringen Produkte und Prozesse auf den Markt, die Millionen von Liter Öl und Tonnen Kohle einsparen. Die Bekämpfung des Klimawandels ist die wachstumsfreundliche Strategie für die Zukunft!

Der Sommer beginnt bereits im Frühling und die Wirtschaft boomt. Grund, um rundum zufrieden zu sein, um die Sonne in der Hängematte zu geniessen? Wohl kaum! Das Klima heizt sich auf und ganze Erdregionen sind von Naturkatastrophen bedroht. Das soziale Klima aber in unserem Land wird immer kälter. Hinter beiden Entwicklungen können wir die gleiche Ursache ausmachen. Es sind jene, welche bar jeglicher gesamtgesellschaftlicher Verantwortung respektlos die Früchte unserer Arbeit selber einstreichen und über ihren Einfluss im Parlament immer wieder zu verhindern wissen, dass die längst bekannten Massnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima auch wirklich umgesetzt werden.

Von der seit zwei Jahren boomenden Wirtschaft hat bisher nur eine kleine Elite Privilegierter profitiert. Aber die Zeche für die allgemeine Klimaerwärmung werden unsere Kinder und Kindeskinder bezahlen und zwar teuer bezahlen. 

Kolleginnen und Kollegen, manchmal sind Paukenschläge nötig, um uns aufzurütteln. Alljährlich zum 1. Mai singen wir die Strophe von den «Verdammten dieser Erde», die sich aufmachten, um ihre Rechte zu erkämpfen. Es ist nicht Sozialnostalgie, wenn wir uns selbst im 21. Jahrhundert noch an ihr Beispiel erinnern und wieder lernen, uns auf unsere eigenen Kräfte zu besinnen. Nur so kann die Schweiz der Morgenröte einer sozialen Zukunft in einer intakten Umwelt entgegengehen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert