Rhäzüns, Steffisburg und jetzt auch noch Zürich-Seebach. Die Schweiz steht fassungslos vor den Schandtaten, die meist minderjährige Burschen gleichaltrigen Mädchen angetan haben. Was sind das für Jugendliche, die anderen solches Leid zufügen, über das die Betroffenen vielleicht ihr Leben lang nie hinweg kommen werden?
Ein Blick auf die jugendlichen Täter scheint zu bestätigen, was man am Stammtisch schon lange zu wissen glaubt. «Die Jugendkriminalität hat einen Namen: Ausländerkriminalität», titelt die SVP in einer Inseraten-Kampagne und preist sich als die Heilsbringerin zur Rettung der Heimat. Das Formular für den Parteibeitritt wird gleich mitgeliefert. Die landesweite Erschütterung wird von der SVP für Politpropaganda missbraucht, wie die Mädchen von den jugendlichen Delinquenten. Und die Schuldigen glauben die Polittaktiker bei der SVP auch gleich zu kennen: Es sind die politischen Gegner der selbst ernannten «Retter der Heimat», die «Linken und Netten».
Wer die Frage nach Verantwortung und Schuld aufwirft, muss sich zwangsläufig mit der Vergangenheit beschäftigen, zumindest mit der jüngsten. Während des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg suchte die Schweizer Wirtschaft billige Arbeitskräfte und fand sie erst in Italien, dann in Spanien und in Portugal und schliesslich auch in der Türkei und auf dem Balkan. Meist waren es Saisonniers, die nach dem Saisonnierstatut höchstens neun Monate im Land bleiben durften und denen ein Wechsel des Arbeitgebers oder der Familiennachzug verboten war. Integration – heute ein Schlüsselwort der Ausländerpolitik – war damals explizit verboten. Ironie der Geschichte: Gerade die Menschen aus Albanien galten als gute, ruhige Büezer.
Das änderte sich Ende der 1980er-Jahre, als sich der Vielvölkerstaat auf dem Balkan zu destabilisieren begann. Nach Ausbruch des Krieges machten immer mehr Albaner von ihrem neuen Recht auf Familiennachzug Gebrauch. Zusammen mit ihren Müttern kamen die Kinder in ein fremdes Land und zu einem Mann, mit dem sie bisher kaum zusammengelebt hatten. Verwandtschaftliche Bande machten die Schweiz auch zum bevorzugten Ziel für Kriegsflüchtlinge, die während ihres Asylverfahrens nicht arbeiten durften. Mit der Einführung des 3-Kreise-Modells im Jahre 1991 sahen sich die Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien erst recht ausgegrenzt. Heute lebt in der Schweiz eine grosse albanische Exilgemeinde mit einem erheblichen Anteil an jungen Männern ohne Perspektiven, ohne Aussicht auf eine Integration in Berufsleben und Gesellschaft. Und genau hier liegt die Ursache zur Jugendgewalt, unabhängig von der Nationalität. Ein Leben ohne Chancen in der Arbeitswelt führt oft in die Kriminalität.
Darüber hinaus erleben gerade die Jugendlichen aus muslimischen Kulturen einen eigentlichen Kulturschock, auf den sie von niemandem vorbereitet werden. Selbst Schweizer Jugendlichen bereitet die ungezügelte Vermarktung dessen, was einst als Intimsphäre galt, Mühe. Umso radikaler muss der sexualisierte Lifestyle unserer Gesellschaft junge Männer provozieren, in deren familiärem Umfeld Bereiche wie Erotik und Sex tabuisiert sind.
Damit sollen die Verbrechen dieser desorientierten Jugendlichen keineswegs verharmlost werden. Die Täter gehören nach den hier geltenden Gesetzen bestraft. Aber wenn wir weitere Straftaten dieser Art künftig vermeiden wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, die bei uns niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländer zu integrieren. Sie einfach sich selbst zu überlassen und einzusperren, wenn sie delinquent werden, löst die Probleme nicht. Integration ist ein langfristiger und aufwändiger Prozess, der nicht zuletzt den Einsatz von qualifizierten Fachleuten erfordert. Das kostet etwas, verhindert aber weitere unnötige Opfer. Auch die Wirtschaft, die am meisten von der Immigration profitiert, muss in die Verantwortung eingebunden werden. Wer sich gegen diese dringend nötige Integrationsarbeit stemmt, bringt unsere Heimat wirklich in Gefahr.