1.-Augustrede Bea Heim 2006
(Rede anlässlich der 1.-Augustfeiern in Dulliken und Trimbach)
Liebe Festgemeinde
Wer ist seit diesem Sommer das neue Idol, der Held, oder ganz einfach der Liebling vieler Schweizerinnen und Schweizer? Ja, richtig, es ist Köbi Kuhn und ich teile Eure Meinung, er hat diese Wertschätzung verdient. Köbi Kuhn hat auch mich durch seine Bescheidenheit, seine Besonnenheit beeindruckt. Von ihm habe ich den folgenden Satz aufgeschnappt: „Das Kollektiv ist im Fussball Match entscheidend. Und ich bin überzeugt, dass dies für eine Gesellschaft genauso gilt.“ – Wir feiern heute gemeinsam den 1. August und besiegeln damit unsern Willen zum schweizerischen Kollektiv, zur staatlichen Gemeinschaft. Wir nennen diese Gemeinschaft Willensnation, weil sie eine Vielfalt von Kulturen, Religionen und Sprachen vereint. Dieses Kollektiv ist für das Gedeihen unserer Gesellschaft, unserer direkten Demokratie und unseres Staates absolut Match entscheidend.
Eigentlich, so hatte man fast den Eindruck, hat der Nationalfeiertag hier zu Lande schon vor einem Monat stattgefunden – spätestens beim Achtelsfinal. Aus unzähligen Fenstern hingen Schweizer Fahnen, an Autos flatterten die roten Tücher mit dem weissen Schweizer Kreuz und überall stiess ich auf Menschen, die das schweizer Markenzeichen auch in der Kleidung trugen oder die sich ein rot-weisses Make-up aufgemalt hatten. Mir scheint, es ist da so etwas wie ein neuer Patriotismus entstanden. Und zwar ein durch und durch multikultureller Patriotismus, der auch in der Nationalmannschaft hervorragend zum Ausdruck kommt: Tranquillo Barnetta war ursprünglich Italiener, Valon Behrami kommt aus dem Kosovo, Johan Djouou von der Elfenbeinküste, Blerim Dzemaili aus Mazedonien, Philippe Sendero aus Spanien, Hakan Yakin aus der Türkei und Pascal Zuberbühler ist ein Basler. Diese bunt zusammen gewürfelte Mannschaft mit Fussballern aus verschiedensten Herren Länder ist für mich ein tolles Zeichen von Weltoffenheit. Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen, die ganze Schweiz fieberte und litt mit dem internationalen Team von Köbi Kuhn und: Die ganze Schweiz ist stolz auf die sportliche Leistung der multikulturellen Mannschaft von Köbi Kuhn, die bis zum Penalty-Schiessen gegen die Ukrainer kein einziges Tor kassierte. Begeisterung und Stolz für etwas Schweizerisches – diese Empfindungen sind ganz wichtig für unser Land und für seine Zukunft.
Nachdem in der Wirtschaft in den letzten Jahren zahlreiche Groundings stattgefunden haben, stiftet nun der Sport Sinn mit der Fussball-Nationalmannschaft, dem Tennis-Crack Roger Federer oder dem Alinghi-Segel-Team. Der Sport schafft eine eidgenössische Identität und schenkt uns Schweizerinnen und Schweizer Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein. Diese Form von fröhlichem Nationalstolz halte ich für gesund, weil die sportlichen Erfolge zeigen: Gemeinsam können wir unsere Ziele erreichen, wenn wir nur wollen. Die Gemeinsamkeit ist Match entscheidend.
In einem Klima der zunehmenden Unsicherheit suchen wir Menschen die Sicherheit im Zusammenhalt und sind froh über einen gesellschaftlichen Kitt, der uns das Gefühl von Sicherheit verleiht. Menschliche Nähe stillt das Schutzbedürfnis in Phasen der Orientierungs- und Hilflosigkeit. Die vergangenen 15 Jahre wirtschaftlicher Ungewissheit haben unser Selbstvertrauen ins Wanken gebracht. Stichworte mögen genügen: Die hohe Zahl der Arbeitslosen, auf der anderen Seite die schamlos abkassierenden Manager mit obszönen Millionen-Gagen, die unaufhaltsam steigenden Krankenkassenprämien, gegen solche Missstände kann man nur gemeinsam und mit Selbstvertrauen ankämpfen. Dieses Selbstvertrauen ist absolut Match entscheidend.
Der Sport lehrt uns, dass auch Einzelkämpfer nur dann stark sind, wenn ein Team hinter ihnen steht und wenn sie von andern Menschen mitgetragen werden. Jeder Radrennfahrer braucht zum Beispiel seine Wasserträger. Am eindrücklichsten finde ich die Boxenhalte im Formel-1-Rennen, wo das gut eingespielte Team um Sekunden wetteifert. Der Sport zeigt uns, dass nur eine währschafte Portion Selbstvertrauen zum Sieg führt. Man muss sich den Sieg zutrauen. Wer nicht das Risiko eingeht, verlieren zu können, wird nie gewinnen lernen. Selbstvertrauen erwächst aus einer guten Leistung und ist eigentlich für uns alle überlebenswichtig. Selbstvertrauen wächst aber auch durch die Begeisterung der anspornenden Mitmenschen: Der Ruf „Hopp Schwyz!“ ist wieder erlaubt und wird auch gern gehört. Selbstvertrauen ist eine Chance für unser Land. Selbstvertrauen führt, wie von selbst zum Erfolg, sei es in Politik, Wirtschaft oder Kultur. Das Gegenteil von Selbstvertrauen wäre Angst, Unsicherheit. Angst behindert das Denken und lähmt. Diese Lähmung führt zum Stillstand eines Landes, zum Abbau sozialer Errungenschaften, seien das nun verbriefte Freiheiten oder verbürgte Sicherheitsnetze.
Dem Zusammenspiel einer guten Mannschaft im Fussball entspricht in einer Gesellschaft der Wille den inneren, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Der Soziale Frieden ist das Grundkapital für den Erfolg unserer Wirtschaft und er ist die Basis für eine friedensorientierte und ökologische Zukunft. Die Sicherung unserer Sozialwerke, eine starke AHV ist daher weitaus höher zu gewichten, als z.B. der unselige Steuerwettbewerb unter den Kantonen. Dieses Buhlen um die Reichsten geht letztlich auf Kosten der Familien, des Mittelstandes und der Jugend.
Dabei hätte die Schweiz grossen Nachholbedarf in Bildung, Forschung und Innovation. Noch belegen wir bei den Patentanmeldungen in Europa den 4. Rang. Doch punkto Zukunftsenergien z.B. sind wir um Jahre zurückgefallen. Heute macht Japan das grosse Geschäft, während sich die Schweiz als Zulieferer begnügen muss. Und unser Nachbarland Oesterreich fährt nicht nur schneller um die Slalomstangen, es hat uns auch bei den erneuerbaren Energien abgehängt. Dabei ist die Energiefrage die Schlüsselfrage der Zukunft. Das Abbröckeln unserer Alpen zeigt, die traditionellen Lösungsansätze haben ausgedient. Die Gewaltkonflikte im Irak, im nahen Osten, in Nigeria, Sudan, viele dieser Kriege stehen im Zusammenhang mit dem Kampf um das schwarze Gold, um das Erdöl. Wer einen Beitrag zum Frieden, zu weniger Konflikten, weniger Leid und Flüchtlingselend leisten will, ja selbst, wer mit Blick auf die Sicherheit der Arbeitsplätze bei uns die Krisenanfälligkeit der Wirtschaft mildern will, hat keine andere Wahl als den Pfad der Energieeffizienz und der Alternativenergien einzuschlagen, mit Selbstvertrauen und nach dem Motto: „Wollen ist können!“
Es gibt leider starke Kräfte in unserm Land, die dieses Selbstvertrauen untergraben, die alles schlecht reden, die Angst schüren und die überall Bedrohungen wittern. In ihren politischen Rezepten sucht man den Respekt vor der Würde der Menschen umsonst: Sie wollen die Armen bekämpfen statt die Armut, die Arbeitslosen statt die Arbeitslosigkeit, die Migrantinnen und Migranten statt ihre Migrationsgründe. Eine solche die Menschen demütigende Politik widerspricht meinem und wohl auch Ihrem Verständnis von Solidarität. Ich erinnere daran: Unser Land ist deshalb stark, weil es sich schon früh um das Wohl der Schwächeren gekümmert hat und kümmert. Unser Land lebt deshalb sozial in Frieden, weil es zeitig Solidarität mit Benachteiligten bewiesen hat und weiter beweist. Unser Land ist auch deshalb selbstbewusst, weil es aus langjähriger humanitärer Tradition immer Menschen in seinen Reihen aufnahm, die an Leib und Leben bedroht waren und aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen verfolgt waren. Viele dieser unglücklichen Flüchtlinge haben nichts zu verlieren als ihr Leben.
Weltweit sterben täglich 20’000 bis 25’000 Menschen an Hunger oder den Folgen von Unterernährung, darunter überwiegend Kinder. Diese Zahl entspricht der Einwohnerzahl von Olten und (Dulliken) Trimbach zusammen. Wen wundert es, dass Menschen die Flucht ergreifen um nicht hungers zu sterben. Die Menschen flüchten unfreiwillig, sie flüchten um zu überleben.
Und vor einer weiteren Tatsache dürfen wir nicht die Augen verschliessen: Unser Land würde ohne ausländische Arbeitskräfte gar nicht funktionieren. Sie sind das Rückgrat der Gastronomie und damit auch für den Tourismus, sie halten unsere Spitäler in Schwung und kümmern sich um unsere Genesung und unsere Gesundheit, sie sorgen für Sauberkeit in unsern Büros und Häusern und kehren den Schmutz weg, den wir hinterlassen, sie rackern sich ab zur Erntezeit auf den Feldern unserer Bauern und sorgen dafür, dass wir gesunde Nahrungsmittel auf die Teller bekommen. Sie alle bezahlen Jahrzehnte lang in die AHV und andere Sozialwerke ein und helfen so, die Renten zu sichern. Die ausländischen Arbeitskräfte sind das Bodenpersonal, damit wir es uns leisten können, zu starten, abzuheben, in die Luft zu gehen und als eines der reichsten Länder der Welt unter der Sonne einen Platz einzunehmen. Es gibt umgekehrt auch ausländische Arbeitskräfte, die sich eingebürgert haben, die ein Unternehmen gründeten, die Arbeitsplätze schufen und nun zum fliegenden Personal gehören und selber am Steuerknüppel sitzen: Nestlé-Generaldirektorin Nelly Wenger stammt aus Marokko, Uhrenkönig Nicolas G. Hayek aus dem Libanon und Ernesto Bertarelli, um nur einige wenige zu nennen, kommt aus Italien.
Der gegenwärtige Nationalratspräsident, Claude Janiak, ist als polnischer Staatsangehöriger in Basel geboren worden.
Alle diese Menschen mit fremd anmutenden Namen, ob Sportlerin, Küchengehilfe, Unternehmerin oder Politiker, sind eine Bereicherung für unser Land. Ich scheue – als Gesundheitspolitikerin – den Vergleich nicht: Diese Menschen sind ein Jungbrunnen für unser Land und unser Leben. Sagen Sie einem Fremden „Guten Tag!“, bevor er es tut und sie werden erleben, wie Recht ich habe. Voraussetzung ist gegenseitiger Respekt und Interesse an unterschiedlichen kulturellen Wertvorstellungen. Dieser gegenseitige Respekt und dieses Verständnis füreinander ist absolut Match entscheidend.
Im Postauto hörte ich kürzlich zwei Mädchen, etwa 10-, 12-jährig, miteinander reden. Die eine, sie hiess, wie ich im Verlauf des Gespräches herausfand, Eva, fragte die andere mit Namen Eilin: „Kommst Du nachher mit auf den Reservoirhügel. Die Linden blühen. Das riecht so gut.“ Eilin antwortete: „Ich komme gern mit, denn ich weiss nicht, wie Lindenblüten duften. Bei uns in der Türkei riechen die Pinien gut, wenn sie blühen.“ „Pinien kenne ich leider nicht“, erwiderte Eva bekümmert. Darauf Eilin: „Im Coop kannst Du Pinienkerne kaufen, dann riechst Du es ein bisschen.“ „Oh ja, und dann kaufen wir noch Würste zum Braten“, ereiferte sich Eva. „Aber keine mit Schweinefleisch. Würste mit Schweinefleisch darf ich nicht essen“, antwortete Eilin. „Dann kaufen wir halt Kalbsbratwürste“, schlug Eva vor. Und so ging es weiter.
Wenn sich Menschen mit unterschiedlichen Kulturen und Werten so unverkrampft begegnen können, halte ich das für eine Bereicherung.
Die Würde der Menschen ist das wohl höchste Gut unter den Menschenrechten. Wahrscheinlich wird sie so oft mit Füssen getreten, weil sie keinen Preis hat. Den Wert der Menschenwürde zu verteidigen, gelingt dann am besten, wenn wir als Gemeinschaft handeln. Sich um die Unterdrückten, Verfolgten und Ärmsten zu kümmern, ist nicht nur eine Frage der Menschenwürde und damit eine moralische Pflicht, sondern auch eine vorrangige Aufgabe für den Frieden auf der Welt. Einer Welt, die wir sinnvollerweise als Menschengemeinschaft begreifen.
Das Kollektiv ist auch in dieser Frage absolut Match entscheidend.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
eine zukunftsfähige Schweiz ist eine Schweiz mit gelebter Solidarität. Das Schweizer Kreuz, ein geschichtsträchtiges Symbol der Solidarität und des inneren Zusammenhalts erinnert daran, dass wir alle für die soziale Sicherheit und die Stabilität in diesem Land in der Verantwortung stehen. Für diesen 1. August, für den Geburtstag der Schweiz, wünsche ich uns und unserem Land, dass das Schweizer Kreuz wieder seine urschweizerische Symbolkraft bekommt, dass wir die politischen Gräben überwinden um miteinander in einer demokratischen Art, auf einer auf gegenseitigem Respekt beruhenden Art den Zusammenhalt in diesem Land zu stärken um die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen.
Ich wünsche ihnen ein schönes Fest.