Swissair-Fall vor der Verjährung

  • 12. Juni 2006
  • Fragestunde Bundesrat
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Um den Swissair-Fall nicht an der Verjährung scheitern zu lassen, sei eine Änderung in Art. 337 Abs.1 StGB zu treffen, so dass das neue Verjährungsrecht auch für Taten, die vor Inkraftsetzen des neuen Rechts verübt worden sind, anzuwenden ist. Da es dabei nicht um die Strafbarkeit gehe sondern um die Verfolgbarkeit, stelle sich die Frage des Rückwirkungsverbots nicht.

  • Wie beurteilt der Bundesrat diesen Vorschlag Prof. Jositsch Uni ZH?
  • Ist er bereit eine entsprechende Änderung zu prüfen und allenfalls vorzuschlagen?

Antwort des Bundesrates vom 12. Juni 2006
Nach Artikel 2 des Strafgesetzbuches (StGB) ist eine neue Strafnorm auf Taten, die vor deren Inkraftsetzung begangen wurden nur dann anwendbar, wenn sie für den Täter milder ist als die alte Norm. Es gilt also im Strafrecht insofern ein Rückwirkungsverbot, als die Spielregeln während des Spieles nicht zu Ungunsten der Täter verändert werden dürfen.
Dieser Grundsatz gilt für das materielle Strafrecht, das heisst für die einzelnen Straftatbestände, die Strafdrohungen und die Voraussetzungen der Strafbarkeit. Er gilt nicht für das sogenannte formelle Strafecht, wie z. B. die einzelnen Verfahrensabläufe und Zuständigkeiten.
Da es in der Lehre umstritten ist, ob die Verjährungsbestimmungen zum materiellen oder zum formellen Strafrecht gehört, hat der Gesetzgeber diese Frage entschieden, indem er für die Verjährung in Artikel 337 StGB ausdrücklich ein Rückwirkungsverbot festgelegt hat. Diese Bestimmung gilt seit der Inkraftsetzung des StGB im Jahr 1942.
Professor Jositsch schlägt nun vor, diesen Grundsatz aufzuheben, damit die im Jahr 2002 in Kraft gesetzte Änderung des Verjährungsrechtes rückwirkend zu Anwendung käme. Im Vordergrund steht Artikel 70 Absatz 3 StGB, wonach nach einem erstinstanzlichen Urteil keine Verjährung mehr eintritt. Diese Neuerung will verhindern, dass sich jemand durch die (missbräuchliche) Ergreifung von Rechtsmitteln in die Verjährung retten kann.
Gegen eine Aufhebung des Rückwirkungsverbotes sprechen folgende Überlegungen:
– Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, die Gesetze für einen Einzelfall nachträglich so zurechtzubiegen, dass das gewünschte Resultat möglich wird.
– Für Delikte wie Betrug, qualifizierte ungetreue Geschäftsführung, Urkundenfälschung, betrügerischen Konkurs oder Gläubigerschädigung durch Misswirtschaft, die auch im Fall Swissair eine Rolle spielen dürften, gelten absolute Verjährungsfristen von fünfzehn Jahren, die für die Durchführung eines Strafverfahrens genügen dürften.
– Für die Verfolgung von weniger schweren Delikten wie ungetreue Geschäftsführung, arglistige Vermögensschädigung oder Unterlassen der Buchführung, bei denen absolute Verjährungsfristen von sieben Jahren gelten, dürfte die Zeit hingegen knapp werden. Es ist jedoch problematisch, die bis heute bewährten Regeln für die Verfolgung von eher untergeordneten Straftaten aufgrund eines Einzelfalles zu durchbrechen. Insbesondere auch, da das Parlament das Rückwirkungsverbot für härtere neue Verjährungsregeln unverändert in die verabschiedete, aber noch nicht in Kraft getretene Revision des StGB übernommen hat.
– Eines der hauptsächlichen Probleme bei der Verfolgung von Wirtschaftdelikten, die in einem Kollektiv von verantwortlichen Personen begangen worden sind, besteht darin, zu beweisen, wer in welchem Zeitpunkt mit welchem Wissen und welchem Willen einen bestimmten Entscheid gefällt oder unterstützt hat. Eine Verlängerung der Verjährungsfristen dürfte in Bezug auf diese komplexe Beweisproblematik keine Erleichterung bringen, im Gegenteil. Mit zunehmendem Zeitablauf wird es immer schwieriger, bestimmte Sachverhalte zur rekonstruieren und nachzuweisen. Dies ist im Übrigen einer der Gründe für die Existenz von Verjährungsfristen.
Aus den angeführten Gründen ist der Bundesrat der Auffassung, es sollte keine Lex Swissair geschaffen werden.
Hingegen haben die verantwortlichen politischen Behörden alles daran zu setzen, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden die nötigen finanziellen und personellen Mittel zur effizienten Verfolgung auch von komplexen Wirtschaftsdelikten bereitstellen. Diese Verantwortung kann ihnen auch eine Änderung der Verjährungsregeln im Strafgesetzbuch nicht nehmen.

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