Meilenstein für Zukunft
Das Ja des Nationalrats zur Bildungsverfassung
Die Schweiz muss, will sie ihren Wohlstand und den vergleichsweise guten Beschäftigungsgrad erhalten, international konkurrenzfähig sein und es auch bleiben. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes steht in einem direkten Zusammenhang mit der Qualität seines Bildungssystems. Dementsprechend bezeichnet die Europäische Union Bildung und Forschung als wichtigste Wachstumsmotoren überhaupt
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Die Pisa-Tests haben uns die Augen geöffnet: Das Schweizer Bildungssystem ist zwar eines der teuersten, zeigt aber erhebliche Mängel.
Das wohl grösste Manko ist die Tatsache. dass das Bildungsniveau und der Wohlstand des Elternhauses noch immer einen beträchtlichen Einfluss auf den schulischen Erfolg der Kinder und die Berufschancen der Jugendlichen haben. Gemäss den Feststellungen der OBCD ist die Schweiz das Land mit den höchsten sozialen Hürden im Zugang zur Bildung. Die fehlende Chancengleichheit ist ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Risiko. Wollen wir die Vernachlässigung bildungsferner Schichten wettmachen, müssen wir den Vorschulbereich ausbauen, die Weiterentwicklung von Kindergarten und Primarschulen fördern. Verschiedene Kantone haben den Reformbedarf erkannt und arbeiten an einer ganzheitlichen Basisstufe.
UNBESTRITTEN IST auch die wachsende Bedeutung der Fremdsprachen in einer sich vernetzenden Welt. Doch welche Fremdsprache soll zuerst gelernt werden? In dieser Frage tut sich die viersprachige Schweiz besonders schwer. Die verschiedenen Reformbemühungen in den Kantonen führen zu immer grösser werdenden interrkantonalen Unterschieden in den Zielen und der Dauer der Bildungsstufen und deren Übergängen bis hin zu den Abschlüssen. Ein solcher Bilddungsföderalismus schafft angesichts der heutigen Arbeitsmobilltät Probleme für Kinder und Familien und willkürliche Unterschiede im schulischen Angebot zwischen ärmeren und finanzkräftigeren Kantonen.
DIE HERAUSFORDERUNGEN der Zukunft sind so nicht zu bewältigen. Was es braucht, ist eine gesamtschweizerische Strategie mit landesweit gültigen Prioritäten in den Bildungsstandards. Genau das wollen Bundesrat und Parlament mit den neuen Bildungsrahmenartikel erreichen: die Koordination des Schweizer Bildungswesens vom Fremdsprachenangebot über die Durchlässigkeit der Schulstrukturen und die Weiterbildung bis hin zur Hochschulreform. Nur eine schweizweite Koordination schafft Chancengleichheit und erlaubt es, die Wirksamkeit der finanziellen Mittel zu steigern, dank Synergien und Kooperation. Die vom Nationalrat mit überzeugendem Mehr beschlossene neue Bildungsverfassung legt die Grundlage fürr eine kohärente und wirkungsvolle Steuerung des Schweizerischen Bildungswesens.
DURCH IHRE POLITISCHE ARBEIT hat die SP als Bildungspartei ganz wesentlich zu dem nun vorliegenden Resultat beigetragen. Am Anfang stand die parlamentarische Verfassungsinitiative Zbinden (SP AG); im gleichen Sinne wirkten auch die von SP-Seite angeregten Standesinitiativen der Kantone SO, RE und PL. Sie zielten auf eine Harmonisierung der Grundstrukturen, auf erhöhte Qualität und Durchlässigkeit von Schule und Bildung, auf eine Vereinheitlichung des Schuleintrittsalters und eine Angleichung der Dauer und Ziele der Bildungsstufen. Sie bahnten den Weg für die landesweite Anerkennung von Abschlüssen. Der neue Verfassungsartikel verpflichtet zudem die Kantone auch im Hochschulbereich zur Koordination und verlangt einheitliche Leitplanken in der Weiterbildung und deren Förderung. Die immer kürzer werdende Halbwertszeit des Wissens und die sich rasch verändernden beruflichen Ansprüche verlangen eine koordinierte Weiterbildungspolitik, die es allen erlaubt, sich weiter zu qualifizieren. Gerade darum förderten im Nationalrat Gewerkschaften und Wirtschaftsdachverbände gemeinsam und mit Erfolg die Anerkennung der Gleichwertigkeit von schulischer und beruflicher Ausbildung. Das Ziel ist eine bessere Ausgewogenheit bei der Zuteilung der notwendigen Bildungsmittel, auch in der Weiterbildung.
ALS URHEBERIN der Solothurnischen Standesinitiative «Koordination der kantonalen Bildungssysteme» freue ich mich über diesen positiven Entscheid des Rates – im Interesse der Kinder und Jugendlichen, aber auch im Interesse der Kantone. Es ist eine Zukunftsstrategie, die neue Perspektiven öffnet und die Chancen der Jungen in der kommenden Arbeitswelt erhöht. Die Frage ist nur, ob er ausreicht, um diese Ziele zu erreichen. Immerhin stellt eine nationale Forschungsstudie einen offensichtlichen Mangel an politischer Steuerung fest. Deshalb brauchen wir ein eidgenössisches Bildungsdepartement, wenn der neue Bildungsartikel tatsächlich Früchte tragen soll. Schliesslich ist Bildung nebst Forschung und Innovation der Match entscheidende Faktor für die Zukunft des Werkplatzes Schweiz, für den Wohlstand und die soziale Sicherheit in unserem Land.