Wer Zukunft will, muss Heimat schaffen

  • 01. August 2005
  • Reden
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1.Augustrede von Bea Heim in Obergösgen

Liebe Festgemeinde

Ich freue mich, dass Obergösgen die schöne Tradition der 1.-Augustfeier, hochhält. Und ich freue mich zu diesem Anlass ein paar Worte an Sie zu richten zu dürfen.
Wir feiern die Schweiz, wir feiern uns und das was uns verbindet.

Nationalfeiertage knüpfen meist an ein grosses Ereignis der nationalen Geschichte an:

• Spanien feiert am 12. Oktober die Entdeckung Amerikas vor rund 500 Jahren.
• Der Quatorze Juillet in Frankreich erinnert an die Revolution 1789
• Der deutsche Nationalfeiertag an die Vereinigung der deutschen Staaten nach dem Ende des kalten Krieges.
• Und England feiert den Geburtstag der Queen

Die Schweiz ist in dieser Hinsicht ein Sonderfall. Unser Nationalfeiertag knüpft an ein Ereignis an, das in eine Zeit fällt, in welcher es die Schweiz als Staat noch gar nicht gab.

Wenn Sie nun befürchten, ich wolle unseren Nationalfeiertag in Frage stellen – bei einer Sozialdemokratin weiss man ja nie…, dann kann ich sie beruhigen.

Das Gegenteil ist der Fall: ich schätze den 1.-August sehr. Er ist Ausdruck des Respekts gegenüber den Errungenschaften unserer Vorfahren und Ausdruck des Bewusstseins, dass wir unsere Zukunft nur gemeinsam meistern können.

Ich schätze den 1.-August, weil er ein Volksfest ist ohne nationalen Pomp. Wir brauchen keine Militärparaden und als Rednerin brauche ich nicht in ein pathetisches Tremolo zu verfallen.

Der 1.-August ist ein Fest der Tradition und des Zusammengehörigkeit.
Seit jeher gehören die Vereine zur schweizerischen Festkultur. Gerade hier in Obergösgen sieht man das sehr gut:
• die Festwirtschaft wird vom Velo-Motoclub geführt,
• der Parcours von heute Nachmittag ist vom Turnverein organisiert
• und für den würdigen musikalischen Festrahmen sorgt die Musikgesellschaft.

Ihnen allen gehört ein herzliches Dankeschön für ihren Einsatz.

Und dennoch: In etwas unterscheidet sich der 1. August von vielen anderen feierlichen Anlässen: Der 1. August ist ein politisches Fest. Nicht im Sinne von Parteipolitik, nein!
Wir feiern unsere Schweiz, diesen modernen Bundesstaat im Herzen Europas, in dem auf etwas mehr als 4 Mio Hektar Boden 7,3 Mio Menschen friedlich zusammenleben.
Ein Blick hinaus in die weite Welt zeigt, dass dies alles andere als selbstverständlich ist.

Unser Staat ist klein, wir bewegen uns in engen Grenzen. Und diese Grenzen wurden vor rund 150 Jahren festgelegt.
Wir haben alle das Bild unseres Landes vor Augen – die Grenzen haben sich eingeprägt in unseren Köpfen. Wir wissen, das ist unsere Schweiz.

Ein Blick in die Geschichte aber zeigt, dass die Grenze zwischen In- und Ausland früher noch nicht so klar und definitiv war, wie es heute vielen erscheint. Lassen sie mich das an zwei Beispielen kurz erläutern:

• Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass die Bezirksgrenze zwischen Olten und Gösgen, die eigentlich dem Aarelauf folgen sollte, das Flussbett an der Südwestecke Obergösgens verlässt und erst wieder bei der Walki im Neu-Bern in die Aare zurückkehrt? Dies hängt damit zusammen, dass der Aarelauf im Mittelalter, als diese Grenze entstand, eben noch etwas weiter südlich verlief. Und heute ist diese Grenze, welche einst Grafschaften voneinander trennte, gegenstandslos geworden.

• Als mit der Eröffnung des Bahnbetriebs 1856 der Zustrom von Auswärtigen in unsere Region einsetzte, wurden die Zuwanderer noch über Jahre hinweg in zwei  Verzeichnissen registriert: in einem für Kantonsbürger und einem für „Fremde“. Dabei wurden im Fremdenregister z.B. auch die Zuwanderer aus Aarburg aufgeführt, neben den Württembergern, Franzosen oder Tschechen. Erst mit der Zeit unterschieden die Gemeindeschreiber dann zwischen „Schweizern“ und „Ausländern“.

Sie sehen, Grenzen sind veränderbar, sowohl auf der politischen Karte wie in den Köpfen der Menschen.

Dennoch darf man die Bedeutung politischer Grenzen nicht gering schätzen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Rhein für zahllose Flüchtlinge zum Schicksalsstrom: Wem es gelang, in der Schweiz Asyl zu erhalten, konnte dem sicheren Tode entrinnen.

Inzwischen aber hat die wirtschaftliche, technische und politische Entwicklung die Landesgrenzen relativiert. Das zeigt sich selbst am Beispiel 1.-August, der heute nicht mehr überall traditionell gefeiert wird, sondern bei einem Z’Morge, ach nein wir sind ja modern, bei einem „Brunch“ natürlich, bei einem „Brunch“ auf dem Bauernhof.

Wir freuen uns auch darüber, dass unser Nationalsymbol, das schmucke Kreuz auf rotem Hintergrund „trendy“ ist und die Mode prägt, ob es Kleider aus China, Portemonnaies aus Polen oder das gute alte Sackmesser aus inländischer Produktion verziert.
Wer „in“ sein will in der Schweiz, gibt sich international und liebt dennoch die Mundartsongs, den Mundartrock. Man reserviert das Konzertbillet am „Ticket Corner“, „jettet“ zum „Shoppen“ nach Mailand und Paris, „surft“ im „World wide web“ und „chattet“ mit Leuten aus aller Welt.

In dieser globalisierten Welt drohen nationale Besonderheiten sich aufzulösen. Die moderne Entwicklung hat unsere vertrauten Grenzen relativiert – und das verunsichert.

Viele bangen um unsere gemeinsame Identität, je grösser die Herausforderung im Zusammenleben mit verschiedenen Kulturen wird.
Dabei sind wir eigentlich schon lange eine internationale Gesellschaft.
Wir sind stolz auf so erfolgreiche Schweizer Produkte wie die Swatch, die wir eigentlich Herrn Hayek, eingebürgert aus dem Libanon verdanken, oder Navyboots, die das Werk eines Secondo aus Italien sind. So vieles von dem, was wir schätzen und stolz drauf sind, kommt ursprünglich aus dem Ausland. Die Familie des C.F. Bally, der das Niederamt geprägt hat wie kein anderer, kam aus Österreich hierher, und Hakan Yakin aus der Türkei.

Das zeigt, wir lieben die Internationalität und wir leben von ihr. Und doch sind gerne da, wo wir unsere Wurzeln, unsere Freunde und Freundinnen haben. Diese Wärme und Sicherheit der Heimat möchten wir bewahren, unser Daheim vor dem rauen Wind der Globalisierung schützen.
Und das umso mehr, je mehr an den Eckpfeilern der Menschlichkeit, der gemeinsamen Mitverantwortung für unsere Schweiz gesägt wird. Und genau das dürfen wir nicht zulassen.

Heimat ist nicht etwas, das man hat, Heimat will erarbeitet sein, Heimat schaffen ist eine dauernde Herausforderung an uns alle.

Wer z.B. glaubt, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit löse sich von selber, erkennt den Schaden nicht für die Jungen und die ganze Gesellschaft.
Wer unsere wichtigste soziale Errungenschaft, die AHV schmälert, wer die Entsolidarisierung im Gesundheitswesen (Stichwort höhere Prämien für die Kranken und Billigkassen für die gesunden Jungen) nicht stoppt, schafft soziale Spannungen und zerstört ein Stück Vertrauen in die Heimat.

Wer das heere Wort der Eigenverantwortung predigt, aber die Schere zwischen Rekordgewinnen auf der einen Seite, und andererseits die harte Realität auf dem Arbeitsmarkt, den Lohndruck nicht wahrhaben will, verstärkt die Zweifel an den Zukunftschancen in diesem Land.

Die zunehmende Aufsplitterung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer polarisiert, schafft Spannungen.

Wer Zukunft will, muss Heimat schaffen, den Zusammenhalt im Inneren stärken. Das verlangt eine Politik der Mitverantwortung für alle – besonders für jene, die sonst unter die Räder geraten, das heisst Solidarität nach innen, aber auch nach aussen.

Heimat, dieses altertümlich anmutende Wort, hat nichts mit einer „Bluemete-Trögli-Romantik“ zu tun.
Heimat schaffen, verlangt engagiertes Anpacken.

Nur wer Heimat hat, ist offen für die Zukunft.

Zu welch grosser internationaler Solidarität die Schweizer Bevölkerung  bereit ist, zeigten eindrücklich die Hilfsaktionen anlässlich der Tsunami-Katastrophe. Erstmals waren Länder auf zwei Kontinenten betroffen, Menschen in Thailand und Touristen/-innen aus Europa und Nordamerika. Diese traurige Katastrophe hat die Schweizer Herzen geöffnet. Diese überwältigende Hilfsbereitschaft, ist gelebte Solidarität in der globalisier-ten Welt. Zu Recht dürfen wir stolz sein darauf, diese gemeinsame Solidarität schafft gemeinsame Identität, schafft Heimat– und ist zugleich Zeichen eines zunehmend globalen Mitverantwortungsbewusstseins.

Globalisierung – das ist ein schwieriger, belasteter Begriff. Globalisierung und Strukturwandel in Wirtschaft und Arbeitswelt sind eine enorme Herausforderung.

Wie positioniert sich die Schweiz in dieser Dynamik, wo sind unsere Chancen, unsere Arbeitsplätze der Zukunft? Wie bestehen wir den Konkurrenzkampf zu den aufstrebenden Wirtschaftsräumen in China und Indien? Lassen wir uns nicht von der Angst lenken, zu gross ist die Gefahr, dass sie politisch für bestimmte Interessen missbraucht werden könnte. Wirtschaft und Politik sind gefordert, den Wandel gerechter und humaner zu gestalten: die Position der Schweiz im internationalen Kontext zu stärken, politisch und wirtschaftlich.

Politik verlangt Weitsicht, sie muss in die Zukunft denken.

Was sind denn die Rohstoffe für die Zukunft der Schweiz? Es sind Bildung, Forschung, Technologie und Innovation. Sie sind die Bausteine für den Wohlstand unseres Landes.
Wissen ist für die Schweiz Match entscheidend, im Wirtschaftverkehr mit den USA wie in der Zusammenarbeit mit Europa.

Zunehmend erkennt die Schweiz, das stimmt zuversichtlich, ihre Chancen  in der Überwindung der nationalen Grenzen. So ist das JA der Schweiz vom 5. Juni zu den Verträgen von Schengen/Dublin zu verstehen, ein  klares Votum für Öffnung und Zusammenarbeit. Wie beim UNO-Beitritt. Wie bei den ersten bilateralen Verträgen. Wie bei den Auslandeinsätzen von Schweizer Soldaten. JA für eine engere Zusammenarbeit mit Europa, ein klares Votum gegen eine Isolation der Schweiz. Weil Zusammenarbeit als offene und selbstbewusste Schweiz uns alle weiter bringt als Abschottung und Isolation.

Die Schweiz als interessante, kleine Volkswirtschaft ist eng mit Europa verflochten, historisch, kulturell und vor allem wirtschaftlich. Güter, Dienstleistungen und Menschen überqueren täglich unsere Grenzen. Die Schweiz profitiert stark von der Zusammenarbeit mit und von der Stabilität in Europa. Die bilateralen Verträge garantieren einen guten Zugang zu neuen Märkten, zu den Wachstumsmärkten im Osten.

Barrieren für unsere Exporte wären Gift für die Konjunktur und den Werk-platz Schweiz. Tausende von Schweizer Arbeitsplätzen hängen von geregelten Beziehungen mit der Europa ab. Wir brauchen keine Mauern um die Schweiz. Wir brauchen geregelte Beziehungen.

Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft, beide sehen Chancen für Wachstum und Beschäftigung. Die berechtigten Zweifel und Ängste der Arbeitenden in der Schweiz hat das Parlament ernst genommen. Ohne konsequenten Schutz vor Lohndumping geht es nicht. Personenfreizügigkeit zu Schweizer Löhnen, nur so ist sie zu haben.

Öffnung ist keine Einbahnstrasse in die Schweiz. Sie soll eine Chance sein für die Arbeitenden, besonders für die Jungen, um Berufserfahrung im Ausland zu sammeln, sich an der europäischen Forschung zu beteiligen, an vorderster Front an neuen Entwicklungen mitzuwirken und dieses Wissen in die Schweiz zu bringen.

Unsere Jugend braucht neue Perspektiven. Zu viele glauben nicht mehr gross an ihre Zukunft, zu viele sind ohne Chance in der Arbeitswelt. Das Gefühl nicht gebraucht, nicht willkommen zu sein. Dieses Gefühl der Ohnmacht, das ist der Schlüssel zur Gewalt. Seit 1990 steigt die Jugendgewalt von Jahr zu Jahr, auch die Brutalität. Manchmal wundert es  mich fast, dass nicht mehr passiert. Denn in einer Gesellschaft, in der ein 12-Jähriger schon tausende von Morden über den Bildschirm hat flimmern sehen, in der die Macht des Stärkeren gilt, nur die Durchsetzungskraft des Unverschämteren respektiert wird, kann Jugendgewalt eigentlich nicht erstaunen. Die Jungen leben aus, was ihnen vorgelebt wird, in Medien und Computer-Spielen. Wir lassen sie zu sehr allein auf der Suche nach ihrem Platz in der Erwachsenenwelt, nach Selbständigkeit und Beruf. Mehr Zukunftschancen dank mehr Wissen, mehr Bildung – das braucht es, die Jungen mehr fördern und mehr fordern.

Und es braucht die konsequente Verurteilung der Gewalt, der Gewalt im Alltag wie in internationalen Konflikten.

Die Schweiz untergräbt ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie für kurzfristige Profite Waffen in Krisen- und Konfliktgebiete verkauft. Ihr guter Ruf als Ort der friedlichen Konfliktbereinigung, der Friedensstiftung darf nicht wegen ein paar Millionen aufs Spiel gesetzt werden.

Neutralität, Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit, das zeichnet die Schweiz international aus. Nicht zuletzt mit Blick auf das zweifelhafte Geschäft mit den Schützenpanzern, möchte ich sagen: tragen wir Sorge zu diesem guten Ruf.

Tragen wir Sorge auch zu unserem guten Ruf als Land der Erfindungen und der Innovation

Tragen wir Sorge zu unserem Spitzenplatz im öffentlichen Verkehr.

Überwinden wir alte Bewahrungsängste und treffen wir mutige Entscheide für die Zukunft unseres Landes.

Ich wünsche Ihnen allen einen frohen 1.- August!

(es gilt der gesprochene Text)

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